Tagebuch eines Samariters in Chernarus (Vanilla) - Band 2 (1.21)

  • 26. Juni 2023 – Den Schalk im Nacken

    Zwar habe ich noch keine Ahnung, wem diese ominöse gelbe Fass wirklich gehört, aber kaum bin ich auf den Beinen, höre ich über Funk eine unbekannte, weibliche Stimme. Sie unterhält sich mit zwei männlichen Stimmen und scheint wohl jemand Neues in Chernarus zu begleiten. Guter Samariter, der ich bin, antworte ich prompt und es stellt sich heraus, dass die weibliche Stimme zu Criosdan gehört. In meinem Kopf wird gleich eine Verbindung hergestellt. Normalerweise ist sie doch im anderen Chernarus aktiv, soweit ich weiß. Sie hat aber augenscheinlich sehr gute Gründe hier zu sein, denn sie führt einen Neuling namens Charel in die Kunst des Überlebens in Chernarus ein, so zumindest der Plan. Doch noch haben die beiden sich nicht getroffen und Chernarus ist groß, daher begebe ich mich zunächst in ihre Richtung und schaue, wie ich helfen kann. Das Schicksal meint es gut, denn wir treffen uns in Nizhnoye und ich kann ihr dort das kleine, neue Bambi-Auffanglager zeigen. Sie zeigt sich erfreut und bedient sich gleich an einem grünen Jäger-Rucksack. Schließlich erklärt sie mir genauer, was ihre Mission hier ist: Sie möchte Neuzugang Charel finden und ihm ein paar Dinge zeigen. Er hatte wohl bei ihm um Hilfe gebeten. Nun, das lässt sich einrichten. Eine neue männliche Stimme, die einen unverkennbaren Dialekt unähnlich dem von Wolfgang oder Custer hat, meldet sich ebenfalls. Er stellt sich mir als Mr. Green vor und möchte die beiden begleiten. So treffen wir uns an der Küstenstraße und setzen den Weg in Richtung Solnichniy fort. Schade, dass ich nicht Auto fahren kann, sonst wäre das kein Problem und wir wären im Nu bei Charel. Aber es muss so gehen. Leider hat sich Criosdan wohl eine Erkältung oder etwas in der Art eingefangen, sodass wir den Nachmittag im Bambi-Auffanglager in Solnichniy damit verbringen, diese auszukurieren. Glücklicherweise hat sie die benötigten Medikamente dabei, sie ist also auf jeden Fall gut vorbereitet. Notfalls hätte ich bestimmt auch die eine oder andere Pille dabei gehabt, aber so geht es natürlich viel einfacher. Gegen Abend setzen wir unseren Weg schließlich nach einer Rast fort.

    Es wird bereits dunkel, als wir in Elektrozavodsk ankommen, wo wir Charel vermuten. Über Funk hat er uns eine Beschreibung des Ortes gegeben und wir waren uns einig, dass er hier irgendwo im Industriegebiet sein muss. Schließlich finden wir ihn in einer Lagerhalle, allerdings haben die Zombies ihm bereits übel mitgespielt. Sofort wird der Gute ausgestattet und Criosdan verlässt uns wieder, um im anderen Chernarus ihre Runden zu drehen. Ich führe Charel bei Nacht durch Elektrozavodsk, am Brunnen vorbei und hin zu einer Scheune. Dann schläft er müde und erschöpft ein. Auch Mr. Green, der uns die ganze Zeit über begleitet hat, verabschiedet sich und ich verbringe die Nacht am Waldrand.


    Am nächsten Morgen fehlt von unseren Gästen jede Spur, aber das ist auch gut so. Je eher Charel lernt, auf eigenen Beinen zu stehen, desto besser. Was mich aber weckt ist Ravinis empörte Stimme im Funk. Schnell stellt sich heraus, dass Tabasko ihm mal wieder einen seiner berühmten Streiche gespielt hat und vor seiner Basis am Schloss rumgespielt hat, als Ravini gerade gemütlich in seiner Basis ausruhen wollte. Natürlich war unser Farmer sofort in Alarmbereitschaft und schoss ein paar Warnschüsse auf seine Wand. Allerdings verfehlten sie ihren Zweck, denn Tabasko nahm dabei keinerlei Schaden, sondern schien das ganze noch amüsant zu finden. Er treibt es echt sehr weit in letzter Zeit. Hoffentlich gibt das keinen Ärger…

    Aber nicht nur ihm sitzt der Schalk im Nacken. Abends treffe ich mich mit Wolfgang in Prigorodki, nachdem ich in Chernogorsk lauter medizinische Sachen gesammelt habe. Ich brauchte dringend eine rote Notarzthose, denn diese ging bei der Begleitung von Crisodan und Charel leider durch einige unbeabsichtigte Schläge kaputt. Jedenfalls bin ich mit Wolfgang am Lager, als plötzlich ein lauter Knall aus Richtung Chernogorsk zu hören ist.

    Es ist definitiv kein Gasangriff, sondern vermutlich eine Explosion. Wir sind alarmiert, denn die Basis von Max und Kevin befindet sich in der Nähe. Also nichts wie hin! Innerlich rechne ich schon mit dem Schlimmsten und fühle mich an das Ereignis mit unserem Bambi-Mobil vor mehren Monaten erinnert, als unsere Garage angegriffen worden war. Die Spannung ist kaum auszuhalten, aber zum Glück ist bei Kevin und Max alles ruhig. Wolfgangs scharfes Auge sieht jedoch Rauch in einiger Entfernung aufsteigen. Kein Helikopter, sondern er kommt von der Tankstelle! Aber auch dort ist alles in Ordnung. Kein Selbstmörderisches Bambi, das dort versucht, seinem Leben ein Ende zu setzen, indem es die Tanksäulen in Brand steckt. Also laufen wird zurück zum Lager, aber nehmen den Weg durch die kleine Vorstadt am Hügel, wo sich zwei Supermärkte befinden. Wir sind guter Dinge, da stockt Wolfgang plötzlich und sieht einen Ghillie, also einen Überlebenden in einem kompletten Tarnanzug. Ich erstarre und frage entsetzt, mit einer Spur von Panik: „WO?“ Wir hatten schon befürchtet, dass es eine Falle sein könnte und jemand uns zur Tankstelle locken wollte. Die Nerven bis zum Zerreißen gespannt, klärt sich alles jedoch schnell auf. Es stellt sich heraus, dass der Ghillie lediglich Satsuki ist, der uns einen Streich spielen wollte. Oh mann… er wollte sehen, wie wir so reagieren und unsere Theorien hören, die wir zu dem Knall hatten. Das fand er offenbar sehr interessant. Gemeinheit… So mit uns zu spielen. Aber ja, den Leuten scheint langweilig zu werden.

    Im Supermarkt finde ich aber dann eine weiße Fahne, das entschädigt mich dann doch für einiges und stimmt mich optimistischer. Auch die Samariter zwischen Chernogorsk und Prigorodki, die ich testweise in einem Hochhaus aufgebaut habe, steht noch. Also alles gut soweit.

    Shizo und Henrik wollten noch zwei Autos in der Nähe von Ravinis neuem Refugium abholen. Die Autos waren wohl achtlos am Straßenrand geparkt worden. Aber da Ravini versehentlich einen Wolfspelz dort hat liegen lassen, waren die Besitzer gewarnt und konnten die Autos in Sicherheit bringen. Also waren die Autos nicht herrenlos. Shizo und Henrik sind zwar etwas enttäuscht, aber sie nehme Ravini trotzdem mit zu seiner Basis. Schade für die Jungs, dass sie umsonst den Weg auf sich genommen haben, aber ich freu mich für den rechtmäßigen Besitzer der Autos. Die Jungs hatten noch Scherze gemacht, das es Charlys sein könnten. Wer weiß? Am Ende beklauen sie sich nur noch selbst…

    Ich setze mit Wolfgang den Weg in Richtung Prigorodki fort und lege mich schließlich müde in Hikarus alter Basis, der Lagerhalle bzw. Garage, schlafen. Vielleicht werde ich irgendwann „Hikarus Garage“ wieder aufbauen. Wer weiß?

  • 27. Juni 2023 – Düstere Entscheidung


    Den Tag gehe ich heute mal wieder etwas ruhiger an. Als ich in Hikarus alter Garage aufwache, muss ich mich erst einmal etwas orientieren und natürlich hat der Schlaf auf dem harten Boden alles andere als gut getan. Ich strecke und recke meine steifen Glieder und begebe mich dann zu einem morgendlichen Spurt in Richtung Prigorodki. Jammet gesellt sich zu mir in den Funkkanal und ich berichte ihm von den Ereignissen sowie von einer weißen Fahne, die ich inzwischen gefunden habe. Jammet macht sich ebenfalls auf den Weg nach Prigorodki. Kanu kann heute leider nicht bei unserer Dreierrunde dabei sein, aber ich richte Jammet aus, dass er gerne die Bambi-Kisten an der Küste auffüllen kann, falls er Lust dazu hat. „Ich…ich LIEBE dieses Bambi-Kisten-Auffüllen“, beginnt er, „aber das mache ich unheimlich gerne zu zweit.“ Ich verstehe das. „Das ist so für mich, wie soll ich sagen… Kennst du diese Sachen, die du unbedingt mit einer ganz bestimmten Person machen möchtest? Das Bambi-Kisten-Auffüllen ist so meine Kanu-Routine. Ich liebe es!“ Das hat er schön ausgedrückt, aber ich stimme ihm zu. Die beiden sind einfach ein eingespieltes Team und da bedarf es keiner großer Absprachen oder Worte. Es klappt einfach. Ihn jetzt allein auf die Tour zu schicken, wäre nicht das Gleiche. Also beschließe ich zu schauen, was der Tag so bringt. Ich witzle noch zu Jammet, dass ich einfach mal nach Prigorodki laufe und falls ich es nicht schaffen sollte oder von feindlichen Überlebenden überrascht werde, könne er mich ja abholen. Etwas kleinlaut und besorgt sagt er nur „Ja…“ und ich merke, dass mein Spaß wohl nicht ganz so rüberkam. Aber immerhin ist er nun auch auf dem Weg in den Süden. Er kontrolliert noch unser Lager und schaut, ob noch alles in Ordnung ist. Ich erkläre ihm noch kurz, dass ich den Rucksack gestern vergeben habe.


    Als ich über das weite Feld in Richtung Prigorodki renne, frohlocke ich innerlich und gebe Jammet durch: „Haha! Mein Plan hat funktioniert! Ich bin ja so durchtrieben…!“ Jammet kann mir offensichtlich nicht ganz folgen, aber das ist auch kein Wunder. Daher erkläre ich ihm den Grund für meine gute Laune: „Ich habe den Jungs gestern gesagt, sie sollen diesen Manfred-Turm wieder in Prigorodki aufbauen.“ Jammet erinnert sich daran, wie viel Chaos dieser Turm schon einmal in das Bambi-Auffanglager dort gebracht hat und dass viele Überlebende den eigenartigen Drang hatten, sich von dem Turm herabzustürzen. Ja, ihm wurde auch nachgesagt, dass er die Gedanken anderer Überlebender korrumpieren könne und sie zum Morden anstachele. So stammelt er wenig begeistert und ungläubig: „Ehrlich? Uahhh…“ „Ja!“, erwidere ich stolz. „Warum?“, fragt er nun verzweifelt. „Weil sie es dann nicht tun!“, lache ich triumphierend. „Und du meinst, sie hätten es sonst getan?“, will nun Jammet wieder wissen. Ich bejahe. Das würden sie und wenn es nur dazu dienen würde, uns zu ärgern oder einen Streich zu spielen. „Man muss wissen, wie die Jungs ticken…“, sage ich noch. Ob ich damit wirklich recht behalte? Wir werden sehen.


    Als ich in Prigorodki ankomme, stecke ich mir ein paar Versorgungsgüter und etwas Proviant in meine Taschen. Jammet und ich tauschen uns etwas aus und er fragt sich, wo denn die ganzen anderen Überlebenden wie Jasmine, Hikaru und so geblieben sind. Auch ich muss etwas überlegen. Von Jasmine habe ich schon einige Zeit nichts mehr gehört, aber sie ist wohl mit ihrem englischsprachigen Freund Jayden unterwegs. Hikaru hat sich eine kurze Auszeit genommen, da sie einige Dinge in Angriff nehmen musste, die ihre ungeteilte Aufmerksamkeit bedürfen und von Max und Kevin habe ich leider nichts gehört, außer dass sie wohl bald wieder einmal vorbeischauen wollten. Custer, Alnitak, Brah und Proxxo gehen wohl auch ihren täglichen Geschäften anderorts nach und so kommt eines zum anderen. Jammet vermisst unsere ausgewogene Mischung und ich weiß, was er meint. Aber so ist das hier bei uns in Chernarus. Manche kommen, manche gehen. Manche brauchen etwas Abstand und kommen danach wieder. Andere sind Dauergäste. Hauptsache, ich weiß, dass es ihnen gut geht und sie überleben. Aber ich gebe zu, dass ich sie auch vermisse. Zumindest ist Ravini ein steter Fels in der Brandung. „Ravini ist echt cool!“, sagt Jammet. Ich bestätige und grinse: „Ja und der Wolfgang auch. Der ist auch cool.“ „Ja, ja, der auch“, pflichtet mir Jammet bei. Am Ende fülle ich noch meine Flasche am Brunnen auf und spreche mich mit Jammet ab. Heute möchte ich in Richtung Solnichniy gehen, allerdings ist Jammet dort schon längst vorbei. Daher beschließen wir, etwas ganz Neues zu machen. Naja nicht direkt neu… aber wir waren schon seit Ewigkeiten nicht mehr auf der Insel namens Skalisty Island. Warum also nicht die Gelegenheit nutzen und ihr gemeinsam einen Besuch abstatten?


    So renne ich also los zum vereinbarten Treffpunkt kurz vor der Insel, bis ich schließlich Jammet an der Küste sehe. Wir begrüßen uns nochmals persönlich und ich lege meinen zweiten Rucksack mit etwas Essen und Ausrüstung in ein Gebüsch. Mit einem Rucksack in der Hand schwimmt es sich schließlich schlecht. Von einer kleinen Küstennase aus steigen wir ins kalte Nass. Ein Zucken durchführt mich, als das Wasser meine Schuhe und Kleidung immer mehr umspült, bis ich schließlich ganz im dunklen Nass laden. Jammet schwimmt vor und ich versuche ihm zu folgen. Das gleichmäßige Plätschern und Rauschen des Wassers dringt in mein Ohr, als ich stumpf meine Schwimmzüge vollführe. Leider ist meine Ausdauer schnell erschöpft und ich muss mit meinen Kräften gut haushalten. Ich bin daher etwas langsamer als Jammet. So anstrengend das Schwimmen auch ist, irgendwie ermüdet es mich nicht nur körperlich, sondern auch innerlich. Immer die gleiche Bewegung und das Bild der Insel vor mir, die nur unsagbar langsam näherkommt. Was tut mein Geist in solchen Situationen? Er wandert. Ich denke an die alten Zeiten zurück, als wir das erste Mal als Samariter von Chernarus auf der Insel Fuß gesetzt haben. Damals… das muss so 2017 gewesen sein. Das Klima war so rau, dass wir uns am anderen Ende erst einmal mit einem Lagerfeuer aufwärmen mussten, sonst wären wir wohl erfroren. Wir hatten sogar eine Zeit lang am Brunnen auf dieser Insel ein Zelt aufgebaut und so quasi einen Vorläufer unsers Bambi-Auffanglagers dort platziert. Tja und dann bleibt mein Verstand bei dem verhängnisvollen 20. September 2017 stehen. Ich weiß es noch, als wäre es gestern gewesen, als wir auf den selbsternannten „King of Kamyshovo“ trafen. Ich hatte ja schon vor einiger Zeit in meinem Tagebuch angekündigt, mal über ihn zu schreiben und jetzt ist ein guter Zeitpunkt.


    Es war ein wunderschöner, sonniger Tag auf der Insel. Jammet, Opi, Kanu und ich hatten Position bezogen, um Bambis, die es eventuell auf die Insel verschlägt, zu versorgen. Ich weiß noch, dass ich zu Beginn der Mission im Funkkanal sagte, dass man nie wissen könne, was so passieren wird. Wie recht ich damit haben sollte! „Mama sagt, das Leben ist wie eine Schachtel Patronen. Man weiß nie, welche dich… trifft“, sagte Jammet noch scherzhaft und da passierte es. Kaum hatte Kanu den Hochstand erreicht, um dort nach Kleidung zu suchen, da rief Opi von seinem Beobachtungsposten: „Da läuft ein Bambi! Unterhalb vom Hochstand. Direkt unterhalb vom Hochstand!“. Achja, das waren noch Zeiten! Präzise Ortsangaben und klare Ansagen. Natürlich stieg Kanu sofort ab und hielt ebenfalls Ausschau. „Er kommt hoch jetzt. Der guckt. Der guckt! Genau, der ist jetzt vor dir“, gab Opi weiter Anweisungen.


    Tja und tatsächlich kam Kanu vor einem fremden Überlebenden in typischer Bambi-Kleidung zum Stehen. Kanu grüßte ihn natürlich sofort freundlich, ging aber instinktiv auf etwas Abstand: „Hello, friendly!“ Der Fremde erwiderte den Gruß ebenfalls und begann zu fragen: „Why are you..why are you…?“, wurde dann aber von Kanu unterbrochen. „Who are you?“, wollte dieser nun gutgelaunt von seinem Gegenüber wissen. „I… I am… I am… I am the King of uh…Kamyshovo“ gab dieser zögernd durch. Kanu lachte und auch wir im Funkkanal konnten nicht an uns halten, als wir das Gespräch mithörten. „King of Kamyshovo?“, fragte Kanu sicherheitshalber nach, „Oh! Nice to meet you.“ Der Fremde versuchte etwas in Erfahrung zu bringen bezüglich Elektrozavodsk und zeigte in die Richtung des Festlandes, aber so ganz konnte Kanu ihn nicht verstehen. Er hatte einen seltsamen Einschlag, möglicherweise kam er sogar aus Frankreich. Kanu interpretierte das Gesagte jedoch so, dass dieser wohl dort gerade einen Kampf gehabt haben musste. Allerdings wollte der selbsternannte König von Kamyshovo wohl lediglich wissen, warum Kanu nicht auch dort sei und um gute Beute kämpfte. Dazu m uss man wissen, dass in früheren Zeiten die Orte Chernogorsk und Elektrozavodsk besonders hart umkämpft worden waren und wir daher auch lieber einen großen Bogen um diese Großstädte gemacht hatten. Allerdings setzte Kanu im Gespräch dann gleich zu seinem kleinen Willkommensvortrag an, denn er gehörte ja schließlich an diesem Tag zum „Welcome-Team“, also das Team, das die Fremden ansprach und zum Brunnen bzw. Lager führte. Opi und Jammet waren eher die Scouts und das Backup, während ich mich direkt am Brunnen um die Versorgungsgüter und die Felder kümmerte. So hatte jeder seine Aufgabe und Kanu nahm sie, wie immer, sehr ernst. „Well, we are a group here on this island. We are calling ourselved the Samaritans. We can give you food and clothes and such things.“ Tja und während Kanu dies sagte, stürmte ich ebenfalls in Sichtweite des Fremden und grüßte freundlich. „Can you come with us to the well down there?“, fragte Kanu noch. Ich ergänzte: „We got food and other stuff.“ Der selbsternannte König wirklich sehr erfreut und traute seinen Ohren kaum. „Oh my God! You guys are the UN! You’re a nice guy. I am the King of Kamyshovo! Ha Ha!“, rief er und rannte mit Kanu und mir gemeinsam den Hang hinunter in Richtung des Brunnens. Rückblickend betrachtet dachte er vermutlich, wir hätten dort unten eine Falle aufgestellt, denn erfahrungsgemäß konnten es die meisten Überlebenden damals erst einmal kaum glauben, dass es wirklich eine Gruppe gab, die uneigennützig anderen half. Trotzdem oder gerade deswegen stürmte er lachend weiter den Hang hinab. Kanu versuchte noch zu erklären: „Yeah, we are trying distance ourselves from all this kill on sight stuff which is currently taking place here. We like to meet nice people like you and as you can see here, my wife has done some farming and you can take everything that’s on the ground.“

    Der Fremde war weiterhin begeistert und fragte nach einem Rucksack. Das war mein Fachgebiet! Schnell hatte ich ein paar Stocke gesammelt und aus einem kleinen Jutebeutel einen improvisierten Rucksack gebastelt, den ich ihm stolz überreichte: „A brand-new backback comming up!“ „Thank you guys! That’s very nice of you“, bedankte er sich artig. Meine bessere Hälfte wollte noch wissen, ob unser Gast weitere Freunde hier hatte. „No… they are all dead“, antwortete dieser kalt und ließ den Kopf sinken. Wir bekundeten ihm unser Beileid, während Opi insgeheim etwas Gewissensbisse bekam. Nicht, dass seine Freunde zu den Leuten gehört hatten, die er am Tag zuvor hatte erschießen müssen. Aber wie hoch waren die Chancen dafür? Nicht sehr hoch in den damaligen Zeiten. Wir zeigten ihm noch kurz die Insel und kamen an Jammets Aussichtspunkt, dem Leuchtturm auf der Insel vorbei. Da der Fremde auch eine Lederweste benötigte, kamen sie aber schließlich zurück zum Brunnen. Dort fiel der selbsternannte König vor mir auf die Knie und frage übertrieben höflich: „I was gonna ask you if you could make me a leather armor, maybe? Maybe? Maybe? Maybe? Währenddessen war er aber auch sehr darauf bedacht, einen Sicherheitsabstand zu uns einzuhalten. Ich hatte zwar kein Problem damit, allerdings fehlte mir etwas Leder und so bot ich ihm an, stattdessen eine Hose zu machen. Ja, auch das war früher alles möglich, doch das Wissen so etwas zu fertigen ging über die Jahre leider verloren. „Oh yeah! Jackpot! I would love that“, freute sich der Fremde, als ich Nadel und Faden in die Hand nahm und meine Arbeit begann. Als Gegenleistung bot er Kanu an, ihm Mosin-Munition zu geben. Er legte sie auf den Boden und sagte Kanu, er könne sie nehmen. Ich überreichte ihm die Hose und Kanu ging auf die Munition zu. „You are welcome!“, sagte der Fremde noch, doch ich sah zu spät, wie er einen spitzen Stock anhob und damit direkt auf Kanu einstach. „Oh, er greift an! ER GREIFT AN!“, rief mein Geliebter noch vor Schmerzen und ich begriff zunächst gar nicht, was los war. Schon ging Kanu bewusstlos zu Boden, denn der Stock hatte ihn sehr ungünstig getroffen. Auch nach mir schlug er einmal mit dem Stock, traf aber nur das Bein. Doch sofort durchzog auch ein so heftiger Schmerz meinen Körper, dass ich auf dem Boden lag, allerdings noch bei vollem Bewusstsein. So musste ich mitansehen, wie er Kanu durchsuchte und seine Waffe an sich nahm, mit der er gleich auf mich aus nächster Nähe schießen wollte. „Das war es dann wohl…“, ging es mir noch durch den Kopf.


    Dann zwei Schüsse, zeitlich versetzt. Doch die beiden Schüsse, die ich hörte, kamen nicht von dem Fremden, sondern von Opi und Jammet, die unseren Hilferuf sofort gehört hatten. Zwar wurde der Angreifer nicht ausgeschaltet, aber er musste sich zurückziehen und ich versuchte unter Schmerzen in blinder Wut und Trauer hinter dem Haus in Sicherheit zu robben. Er versuchte mich noch zu treffen, aber ich schaffte es mit letzter Kraft, mich in einen kleinen Schuppen zurückzuziehen. Dort versuchte ich erst einmal einen klaren Kopf zu bekommen. „Scheiße, was mach ich denn?!“, fluchte ich innerlich und verband meine Wunden. Dann die Meldung von Opi: „Ich hab ihn getroffen!“ Auch Jammet gibt an, dass er ihn getroffen habe. „Nur, wo ist er hin?“, wollte mein Freund nun wissen. „Zwischen den Häusern“, vermutete Opi. „Jemand muss auf die Rückseite von den Häusern gehen!“, bellte Jammet. Ich fing wieder an klarer zu denken. Allerdings war das Glück nicht auf meiner Seite, denn nun kam ein Zombie mitten auf mich zu, der von den Schüssen angelockt worden war. Diese Viecher kamen wirklich immer zum ungünstigsten Moment. Ich schnappte meine AK und schaltete den Zombie aus. Dann rannte ich so gut es eben mit einem verletzten Bein ging hinter das Haus. Nur ein Gedanke: Rache für Kanu und Gerechtigkeit gegen so ein falsches Spiel! Jammet versuchte ihn zu flankieren und ich wollte nur eines. „Wo ist der Kerl?!“, grummelte ich. „Irgendwo bei den Häusern vermutlich“, antwortete Opi. „Du meinst also, der lebt noch?“, wollte ich sicherheitshalber wissen. „Was heißt hier lebt noch? Ich kann dir eigentlich Brief und Siegel darauf geben, dass der noch irgendwo liegt und darauf wartet, dass du ihm den Rest gibst.“ Okay, gut. Keine schönen Aussichten, denn eigentlich war ich hier um zu helfen, aber nicht in so einer Situation! Der Kerl hatte immerhin hatte er uns schamlos ausgenutzt und hinterhältig angegriffen sowie Kanu getötet und mich verletzt. Der Typ verdiente es nicht besser! Leider musste ich es weiter mit einigen Zombies aufnehmen und es fehlte jede Spur von dem Fremden. Ich schoss auf die Zombies, lief ums Haus und suchte den Kerl, der hier irgendwo noch liegen musste. Opis Stimme ermahnte mich: „Zick Zack, Herz! Zick Zack!“ „Ja, ja…“, bestätigte ich. Als ob ich das vergessen würde.


    Ich rannte weiter um das Haus, der Weg nun mit Kanus Leiche und denen zahlreicher Zombies gepflastert und natürlich hatte ich noch weitere im Schlepptau. Falls der Typ noch lebte, hätten die Zombies ihn sicherlich auch angegriffen. Daher ging ich davon aus, dass er wohl tot war. Tatsächlich sah ich im Vorbeirennen dann auch einen Körper und fühlte mich bestätigt. Jammet seufzte erleichtert auf, ich erschoss meinen letzten untoten Verfolger und Opi verkündete stolz: „Ich hab direkt geschossen, als er zugeschlagen hat. Direkt! Der hat zwei Hits sogar abgekommen, ey!“ Also hatte Opi ihn zweimal getroffen? Und auch von Jammet? Der arme Teufel konnte einem schon fast leidtun. Vorsichtig schlich ich mich näher an seinen leblosen Körper. Vielleicht auch, um noch etwas über ihn herauszufinden. Wer war er wirklich und warum hatte er das getan? Aber… was war das?! Der Körper bewegte sich noch. Er hatte einen regelmäßigen Puls. Verdammt, der lebte ja doch noch! Tja und nun kam ich das erste Mal in die Situation, in der ich eine solche Entscheidung treffen musste. Sollte ich ihn hier an Ort und Stelle einfach abknallen und der Gerechtigkeit gefühlt genüge tun? Es wäre ein Leichtes. Oder? „Na dann kill ihn. Headshot!“, forderte mich Opi auf. Aber dann flüsterte eine innere Stimme: „Nein, nicht so. Nimm ihn gefangen. Nimm ihm alles ab.“ Auch unser Beobachter korrigierte nun seine Einschätzung. „Okay, dann nimm ihm alles ab. Nimm ihn gefangen und warte, bis Jammet kommt.“ Letzterer war wohl schon unterwegs. Allerdings hatte er wohl vor lauter Aufregung unterwegs sein Gewehr verloren und wertvolle Zeit verloren. Er hasste diese Momente, aber damals passierten sie uns wirklich häufig, auch wenn es heute komisch und unverständlich klingt. Aber Waffen konnten einfach so verschwinden und musste dann erst wieder gesucht werden. Ein Glück, dass wir nun im Heute leben… Wo war ich? Achja. Ich fesselte ihn, nahm ihm alles ab und versuchte ihn wiederzubeleben, allerdings wachte er auf. Schnell erhob er sich, die Arme auf dem Rücken gefesselt. Schnurstracks lief er in Richtung des Meeres, das ihn beinahe zu rufen schien. Ich rief ihm noch mehrmals den Tränen nahe hinterher, warum er das alles getan habe und forderte ihn auf stehen zu bleiben und es mir zu erklären. Aber er reagierte nicht und lief unbeirrt weiter.


    „Er haut ab, er haut ab!“, gab ich per Funk durch. Jammet war schier verzweifelt, da er nicht vor Ort sein konnte und keine Ahnung hatte, wo sich der Fremde nun befand. Aber für mich war die Sache nun klar, meine wirren Gedanken lichteten sich. Der selbsternannte König von Kamyshovo, ein feiger Heuchler und betrügerischer Mörder wollte einfach nur entkommen. Auf die eine oder andere Art. Ein letztes Mal beweisen, dass wir nichts gegen ihn ausrichten können. Dass das Böse immer triumphieren würde, weil das Gute zu blöde wäre. Und dies war der eine Moment, in dem ich zum ersten und bisher einzigen Mal bewusst dieser inneren Stimme nachgab und abdrückte. Ich drückte ab, mit dem klaren Ziel, mein Gegenüber zu töten. Nicht, ihn zu verletzten. Nicht, um ihn später zurückzuholen und zu verschonen. Nein, er sollte hier nicht mehr Fuß fassen können und für seine Verbrechen bezahlen. An Ort und Stelle. Ich schoss. „So ein Drecksack…“, murmelte ich und versuchte mich noch vor der Gruppe zu rechtfertigen, warum ausgerechnet ich auf einen unbewaffneten, gefesselten Mann geschossen hatte. Kein ehrenwertes Handeln, das gebe ich zu. Trotzdem erzähle ich die Geschichte inzwischen ohne Schuldgefühle, denn sie hat uns und vor allem auch mich vieles gelehrt, das für die kommenden Jahre wichtig wurde. Wir sind hier, um Menschlichkeit in diese unmenschlichen Zeiten zu tragen. Doch leider gibt es auch eine dunkle Seite von Menschlichkeit, die ich allzu gerne verdränge. Aber ich weiß, dass sie in mir ist und ich habe gelernt, sie zu akzeptieren und mit ihr zu leben. Allerdings ist es seither nie wieder vorgekommen, dass ich mit einer derartigen Lust und Abscheu vor dem Leben einmal anderen Überlebenden das Leben genommen hätte und ich werde alles daran setzen, dass dies auch nie wieder der Fall sein wird. Auch wenn ich durch den ein oder anderen Vorfall persönlich Schuld auf mich geladen habe, wie die Sache mit Blue, so bin ich doch in der Lage, mir zu verzeihen und vor allem zum Schutze aller anderen zu handeln und immer vorsichtig zu sein. Dies hat mich der selbsternannte König von Kamyshovo gelehrt.


    Jammets gleichmäßiger Atem und sein Hinweis, dass wir nun bald an der Küste sind, lässt mich aus meiner Gedankenwelt auftauchen. „Gut, dass es hier weder Haie noch Schlachterfische gibt!“, scherze ich unter meinen gleichmäßigen Schwimmzügen. Ich glaube, sollte ich meine Tagebücher wirklich mal als echtes Buch veröffentlichen, dann würde ich den zweiten Band „Herz der Küste“ oder „Herz des Südens“ nennen, da wir ja immer an der Küste unterwegs sind. Ja, das ist eine gute Idee.


    Etwas später kommen wir vollkommen durchnässt an der Insel an, trocknen uns aber mithilfe einer Fackel unglaublich schnell und erkunden die Insel. Vieles hat sich nicht verändert und wir unterhalten uns noch lange über die Geschichte mit dem King of Kamyshovo, ehe wir einen provisorischen Unterstand am Brunnen bauen, gefühlt fünfzig GPS-Geräte in das Zelt packen, die wir alle auf der Insel gefunden haben und auch noch etwas zu Essen einlagern. Vielleicht findet ja jemand seinen Weg hierher und freut sich an dem Unterstand. Anschließend möchten wir gerade aufbrechen, da kommen einige Zombies auf uns zu. Wir trauen unseren Augen nicht. Ein Zombie von ihnen hat wahrhaftig ein Steinmesser in der Hand und schlägt damit nach Jammet. Er ist total perplex und auch ich bin baff. Das ist neu… Zombies nutzen sonst immer ihre Fäuste. Was kommt als Nächstes? Militärzombies mit einer AK? Zum Glück ist er nur eine Ausnahme und wir haben bald die Bande erledigt. Müde und erschöpft verbringen wir die Nacht auf der Insel, ehe wir am kommenden Morgen wieder zur Küste aufbrechen. Dieses Mal fällt mir das Schwimmen leichter und im Busch wartet mein Rucksack noch unangetastet auf mich. Schließlich begeben wir uns in einem kleinen Dörfchen zur Ruhe. Am folgenden Tag möchte ich nach Nizhnoye zurück.

  • 28. Juni 2023 – Heimlichkeiten

    Heute erwache ich mitten in der Nacht. Der Mond beleuchtet sanft die Küste und das Meer. Im Schutz der Dunkelheit setze ich meinen Weg nach Nordosten fort. Die Stille umgibt mich, nur ab und zu höre ich Grillenzirpen oder den Ruf eines Kauzes. Entlang der mondbeschienenen Küste finde ich meinen Weg, während die Dunkelheit langsam dem Morgengrauen weicht. Es ist eine Nacht der Stille und voller Heimlichkeit, denn ich teile meinen Plan mit niemandem. Wäre ohnehin gerade keiner im Funkkanal anwesend…

    Nach einiger Zeit erreiche ich Nizhnoye. Der Tag beginnt zu dämmern, als ich den Brunnen erreiche und mich erfrische. Mein morgendlicher Spaziergang führt mich zum Auffanglager am Hügel. Alles ist in Ordnung, nur die Fahne fehlt noch. Aber das werde ich ändern. Sehr bald! Ein Gedanke keimt in mir auf, als ich den Ort näher erkunde: Ein einsamer Schuppen kurz vor dem Ortsrand fängt meine Aufmerksamkeit ein. Dort steht ein verlassenes Regal. Ich stelle mir vor, wie ich Kisten voller Vorräte hineinstelle – Essen, Getränke, alles, was im Bambi-Auffanglager gebraucht wird. Ähnlich der Samariter-WG in Solnichniy, die ich auch weiterhin aufbauen möchte. Von hier aus könnte ich im Notfall Solnichniy und Berenzino versorgen, wenn die Vorräte knapp werden und sogar Solnichniy.

    Der Gedanke gefällt mir, also beschließe ich, gleich anzufangen. Mit einigen Wellblechen, die ich in einem verlassenen Verschlag finde, errichte ich eine Wand an der ersten Tür. Das Transportieren der Stämme und Wellbleche nimmt mehr Zeit in Anspruch als erwartet. So komme ich heute nur dazu, die erste Wand zu bauen und lege mich schon am Nachmittag schlafen.

    Müde, aber erfüllt von meinen Plänen, lasse ich den Tag Revue passieren. Ein neues Projekt ist geboren, und ich hoffe, dass die aufgehende Sonne meine Vorhaben segnen wird.

  • 29. Juni 2023 – Ein Sturm zieht auf


    Als ich erwache ist es schon wieder Mittag und die Sonne steht hoch am Himmel. Keine Wolke ist zu sehen, es ist ein herrlicher Sommertag. Eine beunruhigende Meldung aus Berenzino holt mich schnell in das Hier und Jetzt zurück: der Drive-In wurde erneut aufgesprengt. Manche Leute halten sich definitiv nicht an Öffnungszeiten! Ich seufze frustriert in mein Mikrofon. Meine Freunde beruhigen mich. Wir haben noch Glück im Unglück: Die Einbrecher waren gnädig und haben nicht alle Kisten entwendet. Außer ein paar Medikamenten und ein paar Versorgungsgütern sowie Werkzeugen und Nägeln fehlt wohl nichts. Ärgerlich ist es aber schon.


    Trotzdem sind wir alle erleichtert darüber, dass das Bambi-Auffanglager in Berenzino selbst noch steht und nicht angerührt worden ist. Scheint, als sei da jemand nur sehr neugierig gewesen. Ich schaue zu Boden und entdecke einen kleinen Schatten. Am Himmel oben hat sich eine kleine, unscheinbare Wolke vor die Sonne geschoben. Das Wetter spiegelt meine Gefühle wirklich sehr gut wieder.


    Nach solchen beunruhigenden Neuigkeiten schalte ich mich in unseren Funkkanal ein und höre, wie Henrik und Charly eifrig am Diskutieren sind. Sie tauschen sich über den Basenbau aus und offenbar hat Henrik genau wie ich große Pläne, denn er befindet sich auch mitten in einem Bauprozess.


    Ich beginne damit, Nizhnoye nach brauchbaren Dingen zu durchzusuchen. Mein erster Weg führt mich – ob man es nun glaubt oder nicht – zu einer Toilette. Naja, genau genommen zu einem hölzernen Plumpsklo. In Nizhnoye gibt es drei im Ort und manchmal finden sich dort erstaunlicherweise sehr hilfreiche Sachen wie Leder-Reparatursets, einen Dosenöffner oder sogar Munition. Jedes Mal, wenn ich dort etwas finde frage ich mich, was mir der gefundene Gegenstand wohl erzählen möchte.


    Heute ist es ein Seil, das neben dem etwas übelriechenden schwarzen Loch liegt. Wer es dort wohl hat liegen lassen? Ich stecke es ein und setze meinen Weg etwas besser gelaunt fort. Im Hintergrund kräht ein Hahn, aber ich beschließe, ihn für heute am Leben zu lassen. Stattdessen mache ich einen Zombie im Feld auf mich aufmerksam. Er hebt seinen Kopf, spreizt seine Arme und ein gequältes, kehliges Stöhnen bahnt sich in unbändiger Wut den Weg aus seinem Mund. Sofort ziehe ich meine treue MK-II und ziele auf ihn. Das alte Spiel. Er stürmt auf mich zu, ich drücke ab. Getroffen! Dummerweise streift der Schuss nur seine Schulter. Oh oh, nun ist er erst recht sauer! Ich weiche instinktiv ein paar Schritte zurück und lade dabei nach. Zweimal trifft mich der Zombie, dann habe ich wieder die Kontrolle über meine Waffe und drücke ab, direkt in seinen Kopf. Er stürzt mit einem Röcheln zu Boden, dass langsam erstirbt. Mein Arm Schmerzt höllisch, aber die Gefahr ist gebannt. Nur leider hat meine Kleidung ordentlich etwas abbekommen und so hole ich ein Nähkästchen aus meinem Rucksack, um die Risse notdürftig zu flicken. Ein Samariter sollte schon auch auf sein Äußeres achten.


    Schließlich packe ich das Nähkästchen weg und hole stattdessen mein Handbeil aus dem Rucksack. Ich schlendere zu einem Baum, um mir für die neue Wand Holz zu schlagen. Das benötige ich, um es mit einer Säge zu bearbeiten und daraus Holzbretter zu zimmern. Diese sollen dann in meinem neuen Lager einen Zaun bzw. ein Tor ergeben. Natürlich schrecke ich bei lauten Holzfällerarbeiten erneut einen der Zombies auf. Der Baum fällt direkt vor die Füße des Untoten. Schade, dass es mir nicht gelungen ist, ihn mit dem gefällten Baum zu erschlagen. So packe ich das Beil weg, um es nicht noch mehr zu beschädigen und kämpfe stattdessen mit meinen bloßen Fäusten erbittert gegen ihn. Es dauert etwas, dann liegt er bewegungslos vor mir im grünen Gras. Praktischerweise hat der Gefallene eine Wasserflasche dabei, die ich dann im künftigen Lager gut gebrauchen kann.


    Ich beginne damit, im kleinen Lagerhaus das Tor aufzubauen, schleppe die beiden Baumstämme dort hin und beschließe die Wellbleche aus der Garage zu nutzen. Vor einiger Zeit hatte ich am Ortsende in unserer Garage in weiser Voraussicht fünf von ihnen eingelagert, die ich jetzt gerne für die Tür verwenden möchte. Stück für Stück schleppe ich die schweren Metallteile zu meinem neuen Domizil und baue daraus mit einigen Nägeln eine stabile Wand. So schlecht sieht sie gar nicht aus und ich gebe zu, dass ich auf mein Machwerk doch ganz stolz bin.


    Koira und Andy, bzw. André kommen ebenfalls zu uns in den Funkkanal. Henrik und Charly sind noch immer in ihren Basenbau vertieft und unterhalten sich über Nägel und andere knappe Ressourcen. Ja, diese sind immer begehrt. Ich berichte den anderen, dass uns auch einige Päckchen in Berenzino geklaut wurden und dass jemand wohl unseren Drive-In dort aufgesprengt hat. Wer genau, das wissen wir nicht und zum Glück wurde nicht alle Kisten entwendet. Aber mich wurmt es innerlich noch immer, auch wenn ich das nicht so sehr zur Schau stellen möchte. Ein Grund mehr, uns hier ein zweites Standbein aufzubauen.


    Wolfgang stößt etwas später zur Gruppe im Funkkanal und grüßt uns freundlich mit einem herzlichen „Servus!“ Ich berichte ihm von den „sozialverträglichen“ Raidern in Berenzino, damit er auf dem neuesten Stand ist. Er treibt sich in der Gegend um Dubrovka herum und ist mal wieder auf einer seiner Wandertouren. Wolfgang der Wanderer. Charly fragt nach einem weißen ADA 4x4, den Wolfgang bei Msta entdeckt hat. Henrik hätte ihn gerne wieder flott gemacht, aber irgendwie konnte er ihn nicht finden. War jemand anderes schneller? Sie gleichen die Position nochmals ab. Scheinbar wurde das Auto bei einer verlassenen Kneipe nach Staroye gesichtet. Henrik meint, er sei dort gewesen und habe bereits geschaut, aber nichts gefunden. Eigenartig, aber da war vermutlich wirklich jemand schneller.


    Henrik hat nun aber plötzlich ganz andere Probleme: Er möchte ein kleines Versteck bauen und hat sich dazu hinter seinem Zaun quasi eingebaut. An für sich noch kein Problem, denn er hat ja Draht, Hammer und Nägel dabei für ein Tor. Allerdings stellt er entsetzt fest, dass der Hammer ruiniert ist. „Ist der Hammer ruiniert, oder was? Alter halt’s Maul!“, schimpft er, „Jetzt muss jemand herkommen…“ Oh oh. Wer kennt es nicht? Irgendwie passiert das immer zu den unpassendsten Momenten und ich erinnere mich zurück, als mir eben genau eine solche Sache passiert ist. Damals war zum Glück Hikaru da, um mir eine Brechstange zu bringen, mit der ich die Wand dann von hinten abbauen konnte. Hoffentlich ist auch bei Henrik jemand in der Nähe, um ihm zu helfen. Charly lacht verschmitzt: „Ist das dein Ernst? Ich wollte dir noch gerade sagen, dein Hammer ist übrigens demoliert. Aber dann habe ich gedacht: Nee, der weiß schon, was er macht...“ Leider kann Henrik von innen den Rahmen auch nicht zerstören, da er keine Spitzhacke, Axt oder dergleichen hat. Koira meldet zu allem Überfluss auch, dass jemand gerade in Berenzino auf ihn schießt. Das Chaos ist perfekt! „Heilige Scheiße, waren da gerade viele Zombies!“, stöhnt er. Wolfgang beschließt, nach Berenzino zu gehen und zu helfen. Aber was ist nun mit Henrik?


    „Befindet sich noch jemand im Norden?“, will dieser nun wissen, der noch immer keine Hilfe in Aussicht hat. Ich bin leider an der völlig falschen Stelle und kann darüber hinaus auch nicht einfach so mit einem Auto fahren… sagen wir so: Es ist eine lange Geschichte. Aber da ich keinen Fahrer oder einen fahrbaren Untersatz habe, scheide ich leider auch aus. Geholfen hätte ich ihm aber gerne, nur das nützt ihm momentan nichts. Ob ich nicht doch mal versuche, das Fahren zu lernen? Meine Gedanken werden unterbrochen, als Ravini sich zu Wort meldet.


    Er erklärt uns, er sei im Nordwesten aktiv. „Kannst du… findest du den Weg zu…“, setzt Henrik an. „Nein. Nein. Nein“, unterbricht ihn Ravini. „Gut…“, seufzt Henrik leicht resigniert, aber er gibt noch nicht auf. Die beiden beschließen, dass Henrik ihm den Weg aus Ravinis Basis hin zu Henriks neuer Basis beschreibt. „Sagen Sie mir bescheid, wenn Sie ausgeparkt haben, Herr Ravini“, beginnt er süffisant, aber leicht frustriert. Charly lacht. „Und wenn Sie richtig cool sind, Herr Ravini, können Sie auch noch einen Hammer mitbringen oder ein Beil. Wobei das habe ich auch hier… Komm einfach her! Alles gut, komm einfach her“, fügt Henrik schließlich an. Gesagt getan und Ravini macht sich auf den Weg.


    Einige Zeit passiert nichts Aufregendes, dann stößt Shizo zu uns und hört sich die ganze Misere mitfühlend an. Charly meint nur noch: „Ja, aber das sind Erfahrungen, die muss man einfach machen, weißte? Die sind wertvoll!“ Henrik kontert sarkastisch: „Hm hm. Du bekommst bestimmt auch mal ne tolle Erfahrung, falls wir uns irgendwann noch über den Weg laufen…“ Ravini lacht beherzt auf: „DEN fand ich gut! Der war so ein Bisschen direkt und man hätte ihn schon für böse nehmen können.“


    Während Ravini angeleitet seinen Weg zu Henriks neuem Refugium sucht, zieht Wolfgang in Berenzino seine Runde. Dort scheint aber alles wieder ruhig zu sein und Koira ist außer Gefahr.


    Auch Tabasko gesellt sich ebenfalls zu unserer Runde und Andy bzw. „André“ ist nun auch mit von der Partie. Tabasko möchte weiter am „heiligen Manfred“ bauen, dem großen Turm in der Nähe von Prigorodki. Anscheinend haben die Jungs nun doch damit angefangen, diesen verwunschenen Turm wieder aufzubauen. Allerdings nicht direkt im Bambi-Auffanglager bei Prigorodki, sondern auf dem Rohbau.


    Charly berichtet davon, dass er mit Tabasko am Vortag noch auf ein Duo gestoßen seien: Zero und Mr. Deamon. Aber wer diese beiden genau sind, kann er mir nicht sagen. Der direkte Kontakt hielt sich nämlich stark in Grenzen.


    Ein Schrei der Erlösung durchbricht die Stille. „Ich bin frei!“, freut sich Henrik, als Ravini ihm endlich den Hammer und eine Axt bringt. Während dieser ganzen Aktionen schaffe ich es tatsächlich, mein Tor in Ruhe zu bauen und ein Zahlenschloss anzubringen. Der kleine Schuppen ist gesichert und bald wird es einiges an Vorräten dort geben. Natürlich ist er nicht besonders sicher, aber es geht auch nicht darum, etwas zu verstecken, sondern einfach für schlechte Zeiten etwas einzulagern.


    Wolfgang versorgt Koira unterdessen in Berenzino mit Fleisch. Das läuft also auch super. Ich beschließe, die ruhige Phase zu nutzen, um einen Grill in Nizhnoye zu bauen und klopfe dazu mit drei Vorschlaghämmern jede Menge Steine. Am Ende besucht mich Wolfgang noch im Auffanglager. Gerade wollen wir gemütlich grillen, da tönt Tabaskos Schrei durch den Kanal „AH! ICH BIN TOT!“ Stille. Was ist denn nun schon wieder? Hatte er einen Unfall? Uns stockt der Atem. Dann kommt die Meldung. Schüsse bei Prigorodki, gerade als Tabasko in Begriff war, am „heiligen Manfred“ weiterzubauen. Das darf nicht sein… wer könnte…? Was, wenn es wieder unsere scharfschießenden „Freunde“ gewesen sind? Ein anderes Problem tut sich auf: Hatte Tabasko nicht einen LKW da unten? Was, wenn der Fremde ihn nun stielt und mit ihm die Ausrüstung der Jungs?


    Ich beschließe, alle Vorsicht fahren zu lassen und steige mit Wolfgang so schnell es geht in Richtung Prigorodki. Dunkle Wolken ziehen auf. Es sieht nach Regen aus.

    Hoffentlich kommen wir nicht zu spät!


    * * * * * * * * *

  • „Schneller, Wolfgang! GIB GUMMI!“ Wir heizen so schnell wie möglich an der Küstenstraße entlang.


    Unbarmherzig peitscht mein Fahrer seinen treuen Sarka an und es kann mir nicht schnell genug gehen. Dunkle Wolken ziehen über den Himmel, aber noch bleib der Regen aus.


    Unterdessen lausche ich den anderen gespannt im Funk, und verfolge jede Neuigkeit peinlich genau. „Also die Orangenen nerven langsam ‚n Bisschen, möchte ich mal sagen…“, beginnt Shizo das Gespräch. „Wer sind denn diese Orangenen?“, möchte ich wissen. „Ja, das fragt man sich...“, beginnt er mysteriös, „Ich hab so ne Vermutung: Grissly und seine Heinis…“ Ich kontere. Nein, der Grizzly ist in Ordnung. Der würde so etwas nicht tun! Klar, er hatte mal ein orangefarbenes Armband und kam in eine Schießerei mit den Jungs, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er nicht hinter diesem feigen Angriff steckt. Die Frage ist nur: Wer war es dann?


    Je näher wir Prigorodki kommen, desto mehr sehne ich mir das Treffen mit dem oder den Schütze herbei. Nur… was würde ich dann tun? Wäre ich wirklich bereit dazu, auf sie zu schießen? Hätte ich überhaupt eine realistische Chance? Ich möchte auf jeden Fall erst einmal mit den Fremden reden, auch wenn das in der Gruppe natürlich auf wenig Gegenliebe stößt. Immerhin wurde gerade Tabasko vom „heiligen Manfred“ auf grausame Weise weggeholt; hinterrücks erschossen. Wie kommt es, dass ich trotzdem so große Hemmungen habe, auf offensichtliche Angreifer zu schießen?


    Die Strecke zieht sich. Bei Kamyshovo entdecken wir plötzlich zwei menschliche Leichen auf der Straße. Sehr verdächtig. Es sieht beinahe so aus, als hätten die beiden kollektiven Selbstmord begangen. Ich würde gerne aussteigen und die Gegend untersuchen, aber die Zeit drängt und wir rasen weiter.


    Da fällt es mir ein: Ausgerechnet jetzt habe ich keine Erziehungsvaiga ™ bei mir, denn die könnte ich sicher gebrauchen. In der Eile habe ich sie nicht eingesteckt. Aber vermutlich ist es auch besser so. Nicht, dass mir so ein Malheur passiert wie bei Blue…


    Weiter, immer weiter treibt Wolfgang den armen Sarka an und an weiteren Küstenorten vorbei, als wir endlich in einiger Entfernung Prigorodki erblicken. Wolfgang lässt mich auf Höhe der Militärsperre raus und bringt sein Auto in Sicherheit. Danach möchte er von einem sicheren Punkt aus Rückendeckung geben. Sofort sprinte ich los in Richtung des Bauwerks, das die Jungs den „heiligen Manfred“ nennen. Tabasko ist unterdessen auch wieder irgendwo an der Küste gelandet. Zum Glück! Wenn ich es richtig verstanden habe, ist er in Chernogorsk am anderen Ende der Stadt, also ganz in der Nähe. Es geht ihm den Umständen entsprechend gut, aber er ist verständlicherweise nicht gerade begeistert von den Ereignissen und muss das erst einmal verdauen.


    Ich renne weiter und versuche mehr herauszufinden. „Wo ist das denn ungefähr gewesen?“, keuche heftig schnaufend ich ins Mikrofon. „Ganz oben im Rohbau und der LKW war westlich vom Rohbau“, antwortet Tabasko. Ich halte also auf den Rohbau zu und tatsächlich! Da bewegt sich etwas. „Ja, da läuft ein Überlebender! Zwei…DREI!“, gebe ich durch und renne weiter. Ich rufe den Fremden entgegen: „Hallo! Halloooo!“ Anschließend bleibe ich stehen und hebe meine Hand zum Gruß. Sie kommen mit gezogener Waffe auf mich zu und ich versuche mir nichts anmerken zu lassen. Allerdings muss ich zugeben, dass mir der vollausgestattete Look der ersten zwei schon nicht so ganz behagt. Zumindest die ersten beiden tragen militärische Kleidung, schwere Rucksäcke und deutlich sichtbare Waffen. Sie wissen auf jeden Fall, was sie tun. Alles an ihnen signalisiert mir: „Die sind auf Ärger aus“. Soviel ist sicher. Aber noch lebe ich und bisher hat keiner auf mich geschossen.


    Ein Zombie stürmt auf uns zu, doch zwei der Fremden kümmern sich um ihn. „Nicht schießen! Nicht schießen!“, bitte ich die Fremden. „Okay, okay. Das war… das war your Freund?“, fragt der eine in einer seltsamen Mischung aus Englisch und Deutsch, doch er ist sehr schwer zu verstehen und noch ist meine Aufmerksamkeit bei dem Zombie und den beiden anderen, sodass ich seine Frage noch gar nicht verarbeiten kann. Manchmal passieren zu viele Dinge einfach gleichzeitig und erst in einer ruhigen Minute hinterher wird einem klar, dass alles eigentlich eine ganz andere Wendung hätte nehmen müssen. Aber da ich die Frage überhöre, ist für mich nicht hundertprozentig klar, ob das vor mir Tabaskos Mörder sind. Okay, okay… es liegt nahe und ist vermutlich auch so. Vielleicht betrüge ich mich aus purem Selbstschutz gerade selbst, denn ich beschließe mit ihnen erst einmal normal zu reden und nicht gleich auf sie loszugehen. Abgesehen davon ist ihr Auftreten auch wirklich einschüchternd. Also: Samariter-Standardprogramm eingelegt und los.


    „German or English?“, frage ich den, der vor mir zum Stehen kommt, während seine beiden Freunde den Zombie mit Schlägen bearbeiten und ihm den Rest geben. „Germany… ich kann auch Deutsch“, antwortet mir mein Gegenüber mit ruhiger fast eindringlicher Stimme. „Du kannst auch Deutsch?“, frage ich zurück, da mischt sich ein zweiter mit etwas tieferer Stimme ein: „And English so hello!“ Er scheint so etwas wie der Wortführer zu sein, denn er wirkt wesentlich entspannter und scheint alles im Griff zu haben. Gut.. also haben wir es hier mit mindestens drei Leuten einer mindestens zweisprachigen Gruppe zu tun und von der sprachlichen Färbung her würde ich sagen, dass sie irgendwo aus Osteuropa stammen. Ich nicke und grüße nun auch freundlich auf Englisch zurück. Noch bin ich am Leben. Puh.


    „Can I help you?“, setze ich mein typisches Samariterstandardprogramm fort. Mein Gegenüber mit der Tiefen und gefassten Stimme antwortet: „He speak German. No, no, no it’s okay. We just travel… searching…and…fun, you know?” Während wir so reden, umkreisen wir einander. Keiner wagt es, auch nur einen Augenblick stehen zu bleiben. Es ist ein Tanz. Ein Tanz mit dem Schicksal und wer zuerst stehen bleibt, hat verloren. Es ist die Angst, dass irgendwo noch jemand sitzt und auf einen und uns schießen könnte. In Blickrichtung unseres Bambi-Auffanglagers bleibe ich plötzlich auf dem Feld stehen. Alles oder nichts. Wolfgang sei wachsam! Kein Schuss, kein Angriff. Weiter im Text.


    „Do you see the camp over there?“, frage ich den Wortführer. Die Antwort kommt prompt: ”Yes?” “We are the Samaritans of Chernarus and we help bambis and fresh-spawns.” Wieder antwortet mein Gegenüber verständnisvoll: “Ah, yes yes. I understand that because I see the clothing and and everything. We don’t take anything from there.” Nun, das hört sich schonmal gut an. Jetzt wäre natürlich ein guter Zeitpunkt, nach den Schüssen auf Tabasko zu fragen und was das alles sollte. Aber ich gebe zu, dass mir die Waffen im Anschlag noch immer nicht so gefallen und dass mein Standardprogramm noch immer die Oberhand hat. So mache ich das, was als nächstes auf meiner Liste steht: Ich frage sie nach ihren Namen. Der eine, der bisher sehr leise war und anfangs auch etwas Deutsch gesprochen hat, stellt sich als „Cyber Sportsman“ vor. Er prahlt damit, dass er schon sehr viel Erfahrung in Chernarus hat („I have over 12000 hours in this game!“). Offensichtlich möchte er mich damit irgendwie beeindrucken, aber ich bleibe neutral und reagiere erst einmal nur auf den Wortführer, der nur Englisch spricht. Dieser stellt sich mir als Ronin vor und hinten auf den Heuballen steht noch jemand, der vermutlich auch zur Gruppe gehört, aber noch eher wie ein Bambi aussieht, und eine schwarze Sturmhaube trägt. Der Überlebende namens Cyber Sportsman tanzt mit einer Jacke in der Hand um mich herum und vollführt seltsame Bewegungen und Verrenkungen. Ich mag mir nicht ausmalen, was Wolfgang sich gerade dabei denkt. „Do you know this? Do you know this?”, sagt er immer wieder und tanzt im Kreis um mich herum. Was zum Henker soll das? Ist das eine Provokation um zu schauen, ob ich bewacht werde und sich ein Schuss löst? Oder möchte er wirklich so dringend meine Aufmerksamkeit, dass er mich damit zu beeindrucken versucht? Der Anführer der Gruppe lässt sich davon jedoch ebenfalls nicht irritieren und so setzen wir unsere Unterredung fort. Ich deute nochmals auf den dritten auf dem Heuballen. „Please, can you tell him not to shoot at me?”, bitte ich Ronin. “Yeah yeah. No problem”, kommt rasche die Antwort. Während einer kurzen Zeit des Luftholens informiere ich Wolfgang darüber, dass es drei sind und wer sie sind. Es ist wichtig, dass auch er den Überblick und nicht versehentlich ein Schuss gelöst wird. Er ist ein hervorragender Schütze, aber die drei hier sind vermutlich noch eine ganz andere Liga und sie sind zu dritt. Außerdem ist Tabasko ja noch unterwegs.


    Während ich nochmals das Gespräch mit dem Anführer suche und noch etwas über unsere Arbeit erzählen möchte, beginnt der zweite Fremde, der nun wirklich zwingend meine Aufmerksamkeit haben möchte damit, mich mit einer Pflaume zu füttern. „I love you! I love you! I love you!“ flüstert er dabei beinahe zärtlich. Ich bin so schockiert und angewidert von so viel Aufdringlichkeit, sodass ich instinktiv erst einmal zurückweiche. Die Pflaume erkenne ich erst auf den zweiten Blick. Das hätte aber weiß Gott was sein können! Menschenfleisch, verdorbenes Essen… wir haben schon vieles erlebt. Ich muss vorsichtiger sein. Einen anderen Überlebenden einfach so mit einer Pflaume oder überhaupt irgendwas zu füttern… das ist keine Art, jemandem seine Liebe zu gestehen! Schon gar nicht, wenn man sich gefühlt erst 5 Minuten lang kennt. Was stimmt bei dem Typen nicht?! Ich möchte gerade ansetzen und ihm etwas antworten, da rennt er auch schon wie ein kleines gescholtenes Kind weg in Richtung seines Freundes auf den Heuballen. Scheinbar merkt er, dass er es übertrieben hat. Ja, ja… manche Kerle sind schon eigenartig. Wenn sie eine weibliche Stimme hören, rasten sie aus und müssen zeigen, was sie alles können. Bin ich froh, dass mir das bisher in unserer Runde mit Charly und seinen Jungs nicht passiert ist. Überhaupt, so ein Verhalten habe ich selbst hier noch nie erlebt. Gut, die Assis damals in Staroye, ja… die waren auch etwas komisch, aber nicht aufdringlich in der Form und das ist Jahre her. Nein, die Leute in Chernarus sind schon okay auf ihre Art und Weise, aber schwarze Schafe gibt es überall. Ich verstehe nur nicht, warum Typen wie er immer davon ausgehen, dass so etwas Frauen gefällt. Abgesehen davon, ich bin bereits vergeben. Deal with it. Was für eine Truppe… Ich hoffe, Ronin hat ihn im Griff.


    Nun beginnt unser Wortführer in bruchstückhaftem Englisch davon zu erzählen, dass sie schon seit etwa einem Jahr immer wieder hierher kommen und heute quasi zurückgekommen sind: „The first time we come here maybe one year ago“. Wir stehen noch immer auf dem offenen Feld, aber nach all den Erfahrungen mit Snipern und Todesschüssen ist mir gar nicht wohl dabei. So versuche ich das Gespräch örtlich zu verlagern. „Just a hint, it’s very dangerous to stand here. Sometimes we have snipers who attack us. So we should move aside.” Der hormongesteuerte Cybersportsman hat sich inzwischen auf eine kleine Hütte gestellt und lacht wie wahnsinnig: „SNIPERS HAAA! SNIPERS!“ Es ist schwer, Ronin da noch zu verstehen, aber er erklärt mir, dass er gerade da drüben bei dem Turm jemanden mit einer Waffe gesehen habe. Er wisse nicht, ob er da etwas gebaut habe oder so. Davon, dass sie ihn auch erschossen haben, sagen sie nichts. Also frage ich nach: „Do you guys kill on sight? Meaning do you shoot first or do you talk first?“ Mein Gegenüber lacht unsicher: “Ha.. I don’t know. It’s situation. Hah. If… Like you, like you. You come to us, we speak with you. Not shooting you. But if we see some guy with weapons, so yeah, I think it’s first of all shoot.” Okay, mehr brauche ich nicht zu Wissen. Also sind es wohl wirklich die drei gewesen, die Tabasko da einfach so hinterrücks erschossen haben. Gerade möchte ich ihn danach fragen, als ich Dauerfeuer aus Richtung von Manfred höre. „WHOA! What is it?“, rufe ich und springe in Deckung. Ronin kommt neben mir zum Stehen und blickt ebenfalls in Richtung des Rohbaus, aus der die Schüsse kamen. „Uh.. Some guy, I don’t know. This my team mates found. Some guy. Spotted. Spotted someone.” Also wurde gerade dort drüben wieder jemand erschossen. War es wieder Tabasko? Ich versuche im Funk die durcheinanderredenden Stimmen zu verstehen. Manchmal wäre etwas Funkdisziplin wirklich eine klasse Sache. Während ich lausche, versuche ich das Gespräch am Laufen zu halten. “Is it safe?”, möchte ich von Ronin wissen. “Yeah, it' s okay. It’s okay”, beruhigt er mich. Aber nun fragt er seinerseits, warum ich wissen wollte, ob er zuerst schießen würde. Ich nicke und erkläre ihm unsere Geschichte. Dass mein Mann und die Samariter von Chernarus sind und wir niemals zuerst schießen würden, sondern wir versuchen, anderen zu helfen: „Well me and my husband, we are the Samaritans and we don’t shoot at people. We try to help.” Von Jammet, Wolfgang, Blue und Hikaru sage ich erst einmal besser nichts, denn momentan sind wir ohnehin nur zu zweit und es wäre schwierig, mit einem begrenzten Vokabular das in dieser angespannten Situation zu erklären. Aber wenn ich diese Gruppe nun vor mir habe, kann ich auch aufs Ganze gehen und ihn nach den orangefarbenen Armbändern fragen: „Are you the group with the orange armbands?“ Irgendwie keimt in mir die Hoffnung auf, dass Tabasko von ihnen erschossen worden ist und diese drei hier nur den Schüssen gefolgt sind. Er verneint. Sie tragen keine Armbänder. Okay. Ich berichte ihm von der anderen Gruppe mit orangenen Armbändern und meinem Verdacht, sie hätten einmal Russisch miteinander gesprochen. Vielleicht kenn sie sich ja? Ronin schein zu überlegen. Während wir schweigen, marschiert der Cyber Sportsman mit hocherhobener Waffe wieder auf uns zu und singt: „I’m veteran Cyber Sportsman. I kill everyone.“ Er packt sein Scharfschützengewehr demonstrativ weg und zieht seine KA-74, die er mir stolz präsentiert: „I kill everyone, my Baby!“ Und da ist es schon wieder. Hormongesteuertes Gehabe. Er schiebt den Wortführer Ronin zur Seite mit den Worten: „It’s my date!“ Aber der Anführer weiß schon, wie er mit ihm umgehen muss und ignoriert ihn einfach. Stattdessen antwortet er auf meine Frage, als sei nichts geschehen. Die haben vielleicht Nerven… Ich weiß, dass so eine Situation früher, als Jammet, Kanu und ich noch gemeinsam mit Nyashia, Howl und ein paar anderen unsere Einsätze durchgeführt haben, nie passiert wären. Ich glaube, der übereifrige Cyber Sportsman wäre schneller auf dem Boden gewesen, als er hätte gucken können. Aber momentan bin ich hier gewissermaßen allein, auch wenn Wolfgang in der Nähe von Chernogorsk aus alles genau beobachtet. Mir ist klar, selbst wenn er eingreift, dann gäbe es am Ende noch mehr Tote als nötig. Endlich antwortet mein Gegenüber, als habe Cyber Sportsman nie etwas gesagt: „No, it’s not our mates. It’s just the three of us. I know the Russians. I think it’s a very toxic players so we just try to fight with him. If we hear some Russian language, we just raid their base and start to shoot.” Also Moment… das muss ich erst einmal verarbeiten. Er weiß, dass es hier russische Spieler gibt. Meint er die orangefarbenen Armbänder oder die Chernarussen? Er glaubt, sie versuchen die Gemeinschaft zu vergiften und darum schießen sie sofort, wenn sie hören, dass ihr Gegenüber Russisch spricht. Und jetzt kommt der Hammer: „We are Russians, but we don’t speak with Russians.” Er lacht. Okay, also die drei hier vor mir sind definitiv Russen. Das erklärt den osteuropäischen Einschlag. Aber statt Kontakt mit anderen Russen zu suchen, kämpfen sie gezielt gegen sie. Das ist ja mal eine Einstellung. Ich lache ebenfalls und sage, dass ich das seltsam finde, aber gut… ist ihr Leben. Ich erzähle ihm von unseren Chernarussen und dass sie sehr freundlich sind, aber so wirklich überzeugt sind sie nicht. Er erzählt mir von einem Russen, den er vor einem Jahr getroffen hat namens Kapper. Über die Schreibung bin ich mir nicht sicher, aber so hat sich das angehört. Ihn habe ich jedenfalls noch nicht getroffen.


    Der stumme Dritte fährt mit einem grünen Sarka vor und schon wuseln die drei wieder um mich herum mitten auf dem Feld. Ich hoffe, dass nicht einer der Sniper hier rumlungert… das wäre ein Fest für ihn. Cyber Sportsman hat scheinbar noch nicht genügend Aufmerksamkeit bekommen und er geht nun vor mir auf die Knie und macht Andeutung, dass er mich küssen möchte. Sein schweigsamer Kumpel scheint das aber gar nicht zu tolerieren (ich im Übrigen auch nicht!) und noch ehe ich selbst zuschlagen kann, prasselt seine Faust auf den Kopf seines Freundes nieder. Gebückt zieht Cyber Sportsman ab. Ein Glück, dass er eingegriffen hat, denn ich weiß nicht, ob die Jungs es verstanden hätten, wenn ich ihm eine verpasst hätte. Wobei… vermutlich schon. Ich glaube, der Jungspund braucht manchmal einfach jemanden, der ihn auf Linie hält. Jedenfalls merkt nun auch der Wortführer, dass es Zeit wird zu gehen. Er verspricht uns, das Camp in Ruhe zu lassen und die drei brechen im Sarka auf. Ich kläre sie noch kurz über unsere Camps auf und dass sie dort bitte auch nichts zerstören sollen. Aber natürlich dürfen sie sich bedienen. Sie bedanken sich und fahren los. Erst jetzt sehe ich, dass ihr grüner Sarka sehr markant ist. Er hat rote Türen, eine rote Heckklappe und eine rote Front. Das könnte noch wichtig sein.


    Henrik, Ravini und Shizo sind auch unterwegs mit Tabasko zurück zum Turm. Ich erstatte ihnen Bericht, dass die Dreiergruppe mit mir geredet hat und vermutlich für den feigen Angriff auf Tabasko verantwortlich war, ich aber nicht 100% sicher sein kann. Es ist aber sehr sehr wahrscheinlich. Sie fahren wieter in Richtung Chernogorsk. Warum habe ich sie nicht direkt gefragt? Es war alles ziemlich chaotisch. Jedenfalls erklärt mir Tabasko, dass er als Bambi tatsächlich bereits zurück am Turm war, dort aber sofort erschossen wurde. Das waren dann vermutlich die Schüsse, die ich gehört habe. Eventuell von diesem Cyber Sportsman oder dem stummen Dritten. Henrik fragt nach dem Sarka und ob dieser rote Türen gehabt hat. Ich bestätige. „Dann ist das unser alter“, gibt er gepresst von sich. Auch er scheint sauer und auf Rache aus zu sein. Nun kann ich nicht mehr viel tun, außer den Schaden zu begrenzen. Ich schaue beim Rohbau nach, ob der LKW noch da ist. Tatsächlich steht das Gefährt noch an Ort und Stelle. Tabasko ist erleichtert. Darauf hatten sie es wohl nicht abgesehen. Leider kann ich ihn nicht wegfahren. Alles wäre wirklich einfacher, wenn ich Autofahren könnte… Aber so nervös setze ich mich nicht hinter das Steuer. Gerade überlege ich, was ich mit dem LKW machen soll, da kommt der eigenartige Sarka zurück und hupt. Die drei fragen, ob sie mich mitnehmen können, aber ich verneine. Steige nie zu Fremden in ein Auto! Das Angebot ist zwar nett gemeint, aber nein danke… Tabasko und Henrik verstehen das nicht, Ravini lacht süffisant. Wäre ich mitgefahren hätte ich ja gewusst, wo sie sich aufhalten. Aber so läuft das nicht! Ich versuche neutral zu bleiben und niemandem in den Rücken zu fallen. Das ist oft schwer genug, wenn man eben nicht weiß, was gerade eigentlich passiert. Nur werde ich mich sicherlich nicht zu diesem Cyber Sportsman in ein Auto setzen… Stattdessen erzählen ich den dreien, dass ich noch schauen möchte, was beim Turm passiert ist, da ich Schüsse gehört habe. Ronin erklärt mir, dass ein Toter oben auf dem Turm liegt. Okay… das muss dann wohl Tabasko sein. Ich beschließe, seine Leiche zu vergraben. Die drei fahren wieder los.


    Somit könnte die Geschichte eigentlich zu Ende sein, aber noch hat der Regen nicht eingesetzt und die dunklen Wolken sind noch nicht vorbeigezogen. Als ich durch das Industriegebiet jogge, versuche ich Wolfgang zu warnen, dass sie in Richtung Chernogorsk fahren und er vorsichtig sein soll. „Jetzt kommen’s“, sagt er noch. Tabasko berichtet, dass sie alle seine ABC-Ausrüstung mitgenommen habe und befürchtet, dass Pavlovo ihr Ziel sein könnte. Keine guten Neuigkeiten. Aus Richtung Chernogorsk kommen Schüsse. Ich renne in die Richtung, aus der ich die Schüsse vermute. Sind das wieder die drei? Ich frage in den Funk, ob die Jungs auch den Schuss gehört haben. Tabasko verneint. Wolfgang antwortet nicht. „Wolfgang, hast du den Schuss gehört?“, frage ich. Keine Antwort. „Wolfgang?“, frage ich unsicher. „Wolfgang, kannst du mich hören? Bitte kommen!“


    * * * *

  • Ich renne mal wieder, als ginge es um mein Leben. Weiter, immer weiter durch das Baugebiet in Richtung Chernogorsk.

    Plötzlich der erleichternde Funkspruch von Wolfgang: „Die ham mi gfesselt, kurz vor de Brück!“ Wie er da noch so schnell funken konnte, ist mir ein Rätsel, aber es hat geklappt. Ich beschleunige meine Schritte und versichere ihm, dass ich auf dem Weg bin und er Ruhe bewahren solle. Letzteres ist nicht nötig, denn Wolfgang ist ja stets die Ruhe in Person. Vermutlich hat ihn das auch vor einem tödlichen Schuss bewahrt, aber sicherheitshalber ich sage ihm auch, er solle ihnen ruhig sagen, dass er einer der Samariter sei. Ich hoffe, Ronin erinnert sich daran, was ich ihm zuvor erzählt habe. „Ich habe ihnen gesagt, dass ich mit meinem Mann spiele. Dann tun wir jetzt einfach mal so, okay?“, beginne ich. Ravini lacht wieder verschmitzt und ruft triumphierend: „Ach SOOO! Da läuft was zwischen euch beiden!“ Ich seufzte hörbar resigniert und genervt: „Oh, Ravini!“ und renne weiter in Richtung Chernogorsk. Ich mache mir etwas Sorgen um diesen Cyber Sportsman und hoffe, Ronin hat ihn im Griff und sie tun nichts Unüberlegtes mit Wolfgang. Verdammt! Wenn ich nur schneller wäre…


    Doch mitten im Sprint durchzieht ein Schmerz meinen Fuß. Ich schaue auf meinen blutenden Zeh und den kaputten Schuh. Nicht schon wieder! Meine Schuhe sind ruiniert. Ausgerechnet jetzt! Notdürftig verbinde ich meinen Fuß und stelle mir aus ein paar Stofffetzen improvisierte Fußwickel her. Weiter geht es. Nicht angenehm, aber es muss sein. Ich muss einfach verhindern, dass heute noch jemand stirbt. Vor einer Mauer an einem kleinen Wachhäuschen lade ich meine Waffe für den Notfall nach. Als ob ich sie nutzen würde… aber wenn es sein muss? Henrik und Tabasko versuchen sich in Position zu bringen, während Ravini und Shizo noch weit oben im Norden sind. Die Jungs auf jeden Fall sind wie elektrisiert.


    Endlich vernehme ich Wolfgangs Stimme: „Die haun jetzt ab. Die ham mich noch nach dem Kevin und Max seiner Base gfragt und sin ab.“ Hinter mir an der Mauer fährt der Sarka vorbei, sie rasen weiter zurück in Richtung Elektrozavodsk. Wolfgang geht es den Umständen entsprechend gut. Gott sei Dank! Sie haben ihm zwar einige Sachen abgenommen, aber ihm Essen dagelassen und ihn schließlich ziehen lassen. Ich bin sichtlich erleichtert, als ich seine Stimme wieder im Funk vernehme und es scheint, als habe es geholfen, dass er sich als Samariter zu erkennen gegeben hat.


    Tja und nun geht es bei den Jungs hoch her. Tabasko informiert Henrik und die anderen, dass die drei Russen in Richtung Elektrozavodsk fahren, unterwegs möchte Henrik sie abpassen. Wieder neue Schüsse aus Richtung Osten. Tabasko zielt vom Rohbau auf das fahrende Auto und möchte, dass Henrik sie dann etwas weiter östlich in Empfang nimmt. Puh… wo sind wir da bloß wieder reingeraten? Aber eines ist jetzt klar: Tabaskos Aussage, dass jemand mit orangenem Armband ihn erschossen hat, kann so nicht stimmen. Auch wenn ich keinen eindeutigen Beweis habe, so müssen es doch die drei Russen von gerade eben gewesen sein. Sie haben ihn zweimal kaltblütig erschossen, aber Wolfgang am Leben gelassen und auch mich verschont. Es sind Russen, die aber keine andere Russen mögen. Soweit, so merkwürdig. Einer von ihnen scheint vernünftig zu sein, der andere hormongesteuert und der dritte schweigt. Während ich in Richtung Prigorodki zurückrenne, um mich mit Wolfgang zu treffen, höre ich zahlreiche Schüsse aus dem Osten. Ich bleibe noch bei dem LKW, während Tabasko sich beim Rohbau nochmals ausstattet. Wolfgang versteckt den LKW, da ich leider nicht mit so einem Ding fahren kann. Aber somit ist nun auch das Gefährt in Sicherheit. Einige Zeit später sitzen Wolfgang und ich in seinem treuen Sarka und fahren wieder in Richtung Nizhnoye. Natürlich machen wir einen großen Bogen um Elektrozavodsk und dem bewaffneten Konflikt, aber so wie ich es mitbekomme, hat Henrik den Fahrer wohl erwischt. Ja, sie haben sich nicht besonders gut benommen, aber trotz allem tut er mir leid. Der Tag ist schon weit fortgeschritten, die dunklen Wolken sind noch nicht weitergezogen, aber der Regen hat noch immer nicht eingesetzt. Zurück in Nizhnoye beschließe ich, eine Fahne zu bauen, um das dortige Auffanglager kenntlich zu machen.


    Es dauert einige Zeit, aber als es langsam zu dämmern beginnt, steht der Fahnenmast endlich. Nun fehlt nur noch eine Fahne und ich weiß auch schon, wo ich sie herbekomme. In Solnichniy habe ich genau für diesen Fall eine weiße Fahne versteckt. Also geht es für mich allein nun weiter in Richtung des kleinen Küstenorts. Als ich im Lager ankomme, entdecke ich aber einen toten Zombie beim Essenzelt. Aha! Da war also jemand. Ich verfolge die Spur des Überlebenden bis in einen äußeren Teil des Dorfes. Ein fliehendes, kreischendes Huhn verrät den Fremden und ich halte zielsicher auf ein Haus zu. Und tatsächlich höre ich, wie jemand über einen Zaun hüpft. Hinter dem Haus! Ich schnappe mir den Hahn und nehme die Verfolgung auf. Langsam laufe ich gebückt zum Haus und höre eine Türe. Sofort beginne ich mich dem Samariter-Begrüßungsmodus: „Hello! Hello?“ Ich betrete das Haus und sehe tatsächlich ein Bambi in einem der hinteren Zimmer. Ich blicke etwas vorsichtig um die Ecke und sage nochmals Hallo. „German or English?“, frage ich allerdings kommt keine Reaktion. Erst ein paar Sekunden später höre ich ein scheues „Hallo?“ eindeutig weiblich! „Ich weiß nicht, wie es funktioniert… es scheint nicht zu gehen!“, sagt sie etwas verwirrt. Ich schließe die Türe und laufe auf sie zu. „Hallöchen, ich grüße dich!“ Sie grüßt zurück und fragt: „Na, wie geht’s?“ „Ganz gut, danke! Und dir? Brauchst du etwas?“, frage ich sie in gewohntem Samariter-Tonfall. „Ja… ich fang grad an und sammel erst einmal Erfahrungen. Du siehst ja schon voll equippt aus!“ Okay, damit meint sie wohl meine rote Kleidung, den Rucksack und das alles. Natürlich erzähle ich auch ihr bereitwillig von uns Samaritern und was wir hier tun. Sie klingt wirklich nett und hört sich alles erfreut an. „Boa! Cool! Dankeschön! Perfekt!“, lacht sie. Ich zeige ihr biete ihr an, sie zum Bambi-Lager zu begleiten. Wir hoffen, dass uns keiner auflauert. Während wir unterwegs sind, erkläre ich ihr, wo sie sich hier befindet und habe natürlich auch schon im Funkkanal von meinem Treffen mit dem Bambi. Stimmen werden laut: „Ist er freundlich?“ und „Töte ihn! Töte ihn! Töte ihn!“ Ich lache: „Es ist eine SIE!“ Kurze Pause. „Töte sie! Töte sie! Töte sie!“ Oh Mann.. diese Jungs! Aber sie meinen es nicht böse, sondern albern einfach nur etwas rum. Auch mein Gegenüber scheint mit anderen in einem Funkkanal zu sein, denn eine männliche Stimme flüstern ihr ins Ohr: „Frag sie mal…gehört sie zu dieser größeren Gruppe?“ Dann wird es undeutlich. Ich erkläre ihr, dass die Samariter eine kleine Gruppe sind, die an der Küste Bambis versorgt, aber wir Kontakte zu anderen Gruppen haben und den auch herstellen können. Die männliche Stimme aus dem Off berichtet davon, dass sie eine Zeit lang von einer größeren Gruppe gejagt worden wären. Könnten das Charly und die anderen gewesen sein? Aber orangene Armbänder hatten sie nicht, sondern immer nur grüne. Hmm. Okay. Das kenne ich doch irgendwoher… Er heißt Justin und wurde auch schon seiner Base beraubt vor einiger Zeit. Sie stellt sich mir als Sue vor und es gibt noch einen Dritten im Bunde, den Jannik. Ich statte Sue aus, erkläre ihr einiges und wir reden viel und laufen dann nach Nizhnoye wegen einer Flasche. Sie berichtet unterwegs auch davon, dass ihre Basis auch schon geraided worden sei. Ja, es ist wie im Sandkasten. Man baut eine Burg und manche machen sie einfach kaputt.


    In Nizhnoye angekommen gebe ich ihr eine Flasche, hisse die Fahne und zeige ihr den Weg nach Berenzino. Sie soll ein paar kleine Aufgaben erledigen, wie ein Auto finden oder so. Na wenn es weiter nichts ist…


    Am Abend wird dann noch Danis Basis in Bor überfallen. Shizo, Henrik und Dani eilen mit Tabasko zur Rettung. Henrik bringt es auf den Punkt: „Danis Base wurde geraided und wir wollen Rache!“ Dani erstellt einen Schlachtplan. Ich wünsche den Jungs viel Glück und lege mich erschöpft nach dem anstrengenden Tag schlafen.

  • 30.06.2023 – Im Auge des Sturms

    „Ja, die Typen haben uns schön fertig gemacht“, ist das erste, das ich höre, als ich mich zu unserem Funkkanal geselle. Tabaskos Worte sind deutlich, aber er scheint an dem Ganzen auch seinen Spaß gehabt zu haben. Die Jungs haben wohl einen neuen Gegner und somit auch eine neue Herausforderung. Jedenfalls scheint das mit der Rache für Danis Basis nicht so ganz geklappt zu haben und Dani zieht zu Henrik. Eine eigenartige WG, aber gut. Während sie umziehen, kümmere ich mich um die tägliche Belange des Lagers kümmere.


    Heute ist ein Tag, der sich wie ein wilder Sturm anfühlt, der uns hin und her wirbelt. Die Ereignisse nehmen ihren Lauf.


    Heute ist Fischfreitag, eine Idee, die vom Chernarussischen Roten Kreuz, genannt CRK, stammt, das im anderen Chernarus aktiv ist. Die United Nations Operation in Chernarus (UNOC), auch als Friedenstruppe bekannt, hatte dort die Vorräte des CRK inspiziert und bemängelt, dass Gemüse dominierend sei. Doch Shaitan vom CRK bliebt standhaft: Es gibt Kürbis und freitags Fisch, im Einklang mit alten Traditionen. Vielleicht sollten auch wir diese Praxis übernehmen. Selbst in der Apokalypse ist ausgewogene Ernährung von Bedeutung.


    Samariter Rot, also Furkan, begibt sich zum Angeln nach Cap Golova. Er genießt die Meeresstimmen, während er eine Fülle von Fischen für das Bambi-Auffanglager in Prigorodki fängt. Stolz trägt er seinen Fang ins Camp und räuchert die ersten Fische über dem kleinen Steingrill. Doch plötzlich wird diese Idylle durch einen heimtückischen Schuss unterbrochen. Cyfox ist zur Stelle, sichert das Camp und die Habseligkeiten des Verstorbenen. Mit Furkans Aufnahmen auf der Helmkamera können wir einen Blick auf den Täter erhaschen – oberer Körper und Waffe. Der Täter, etwa 1,80 Meter groß, gekleidet in grüne Militärkleidung, dunkle Jagdstiefel, feuerte mit einer USG. Details des Vorfalls können auf Anfrage eingesehen werden. Hinweise zur Ergreifung des Täters sind an Officer Charly zu richten.


    Die Dinge geraten außer Kontrolle, als Cyfox die geplünderten Zelte inspiziert und seinen Ärger über die Situation ausdrückt. Wieder wurde Kleidung aus dem Autozelt verstreut, eine Kiste auf dem Feldweg zurückgelassen. Ein wahrhaftiges „Danke“ für Furkan, der währenddessen für die Bedürftigen kocht. Mein Unverständnis und Empathiemangel gegenüber solchen Taten wächst. Worte versagen, wie auch die Empathie in dieser apokalyptischen Welt. Ein Mindestmaß an Menschlichkeit braucht die Welt, sonst können wir uns alle gleich kollektiv im Meer ertränken. Ich habe fertig!


    Jedenfalls reise ich in den Süden, um Furkan meinen Respekt zu zollen. Kaum ist die Zeremonie beendet, da tauchen plötzlich die drei Russen vom Vortrag auf und greifen Tabasko erneut an, der am „heiligen Manfred“ weiterbauen wollte. Natürlich sind sie in der Überzahl und haben das Moment der Überraschung auf ihrer Seite. Tabasko kämpft verwegen und tapfer, aber zieht dann letztlich doch den Kürzeren. Tja und ausgerechnet mitten in dieses Chaos stürzt unser Custer, der nach einer kurzen Auszeit zurückgekommen ist und nun tatkräftig helfen möchte, zu uns. Das ist lieb gemeint, aber der Gute hat leider ein gewisses...Talent dafür, Schüsse oder Gefahren anzuziehen. Ich weiß nicht, wer schlimmer ist. Wir Samariter oder er. Wobei er die Gefahr selten sucht, sondern sie ihn einfach nur sofort findet. Trotz Allem ist er ein herzensguter Mensch und ich bin froh, seine Stimme zu hören. Im Camp ist es jedoch zu gefährlich für ihn. Wer weiß, was die drei schießwütigen Russen vorhaben und ob ihr Versprechen, uns und dem Lager nichts zu tun auch für ihn gilt. Wolfgang gestern haben sie verschont, aber nur, weil er ausgesprochen besonnen reagierte. Custer dagegen ist ein andere Charakter und ich weiß nicht, ob seine falschverstandene Freundlichkeit für sie nur ein weiterer Angriffsgrund wäre. Die Worte von Ronin sind noch in meinem Kopf. Wenn er eine Waffe hat, wird er erschossen. Ich weise Custer darum an, sich schnell etwas entfernt vom Camp zu verstecken und sich bloß nicht zu erkennen zu geben. Er tut wie geheißen und meint, er wird mich schon beschützen, wenn es notwendig wird. Das ist irgendwie süß von ihm, aber ich glaube, gegen diese Gegner hätte auch er keine Chance. Schließlich betreten zwei der drei Russen das Camp, als ich gerade am Brunnen Wasserflaschen auffülle. Custer ist erst einmal in Sicherheit und beobachtet alles aus sicherer Distanz. Soweit, so gut.


    Meine Kommunikation mit den beiden Neuankömmlingen ist zunächst auf das Nötigste beschränkt, denn Ronin hält sich heute im Hintergrund auf. Kein Wunder also, dass Cyber Sportsman auf mich zugetanzt kommt und einen eigenartigen Balztanz vollführt, gespickt von obszönen Lauten und Stöhnen, das wohl irgendwie weiblich klingen soll. Was will er damit bezwecken? Ich meine, klar… jeder Idiot weiß, was er damit ausdrücken möchte. Aber mal im Ernst, was erhofft er damit zu erreichen? Das ist einfach widerlich und herablassend. Am Tod von Furkan will er keine Schuld haben. Sie seien gar nicht in der Nähe gewesen.


    Wäre ich allein am Camp und Custer nicht in Gefahr entdeckt zu werden, hätte ich ihm vermutlich wirklich eine verpasst. Aber so flehe ich Custer innerlich an, sich ruhig zu verhalten und bloß nicht auf sich aufmerksam zu machen. Ich mache gute Miene zum bösen Spiel und hoffe, dass dieser Balzbubi lediglich seinen übermäßigen Testosteronspiegel zur Schau stellen möchte und bald wieder abzieht, wenn hier nichts Besonderes mehr los ist. Umso wichtiger, dass er Custer nicht entdeckt! Hihi „Balzbubi“. Irgendwie ein passender Name. Ja, den hat er redlich verdient! Aber auch wenn der Gedanke an diesen Namen mich amüsiert ist, so lenkt er mich doch nicht von der Tatsache ab: Ich bin gewissermaßen in Geiselhaft hier, auch wenn es keiner direkt ausspricht.


    Ein Glück nur, dass Kanu am Lager hier ist. Sie würden ihn vermutlich gleich erschießen oder er würde den Balzbubi töten und dann selbst erschossen werden. Alles ist denkbar.


    Plötzlich löst sich ein Schuss vom Berg über mir. Wir alle suchen sofort Schutz hinter der Mauer. Balzbubi sprintet den Berg hoch und lässt mich mit dem schweigenden Russen zurück. Schüsse. Dann ist es ruhig. Ich bin wie erstarrt. War das die Stelle, an der Custer sich versteckt hielt? Diese Ungewissheit macht mich wahnsinnig, aber da Custer sich nicht meldet, spricht leider vieles dafür. Schließlich kommt der Balzbubi mit seiner erhobenen Waffe stolz angewackelt und erklärt mir, dass er den Sniper getötet habe.


    Er erklärt mir bruchstückhaft, dass er gerade einen der bösen Sniper für mich ausgeknipst hat. Dieser Sniper… das war doch Custer! Stolz hält mir der schießwütige Jungspund Custers Rucksack entgegen. Wie eine Jagdtrophäe…Ich fasse es nicht. Gerade droht die Trauer mich zu überwältigen und ich möchte ihm sagen, was für ein riesengroßer Idiot er doch ist, da meldet sich Kanu per Funk. Er möchte mit dem Auto ins Bambi-Auffanglager fahren. Ich versuche ihm zu erklären, dass er das lieber bleiben lassen soll, aber er möchte es darauf ankommen lassen. Wir sind immerhin die Samariter und niemand kann uns einfach so verbieten, in unsere eigenen Lager zu fahren und anderen Leuten zu helfen. Recht hat er und natürlich möchte er mich nicht schutzlos diesen Typen überlassen.


    Ich gebe seine Ankunft weiter an die beiden Russen und sage, dass Kanu, ein weiterer Samariter, in einem roten Auto hierher unterwegs ist. Nun ist auch Ronin mit von der Partie und sichert ihm freies Geleit zu. Kanu fährt vorsichtig ins Lager, wird aber sofort von dem schweigenden Russen beschossen. Die Scheibe klirrt, Kanu bremst. Der Schweigende entschuldigt sich auf Englisch und bietet uns eine Waffe als Entschädigung an, aber die brauchen wir ja nicht. Mann, Mann, Mann! Kann Ronin seine Jungs nicht einfach mal im Zaum halten?! Von wegen Versehen.


    Während Kanu damit beginnt, einige Dinge im Lager auszuräumen und ich hinten die Felder bestelle, beteuert nun der Balzbubi wieder seine Liebe zu mir: „I love you! My Herz!“ Ich erkläre ihm, dass ich sein Verhalten absolut indiskutabel finde, aber er versteht nicht, was ich meine. Das Gestöhne und Getanze verletze ja niemanden, meint er und es ist auch keine Beleidigung. Ich versuche es ihm ein paar Mal geduldig zu erklären, dass er sich so in gewaltige Schwierigkeiten manövrieren wird und wir hier so etwas nicht dulden, aber er beharrt darauf, dass das alles nicht sein Problem sei. Klar. Er hat ja auch die Waffe in der Hand. Schließlich frage ich ihn, was das alles mit Tabasko soll. Warum machen sie gezielt Jagd auf ihn? Er erklärt, dass der am Turm ein lilafarbenes Armband getragen hat, wie der Schütze vom Vorabend und die Gruppe, die sie „gefickt“ haben. Ich erkläre ihm, was es mit dem Turm auf sich hat und dass Tabasko ein guter Freund von uns ist. Jetzt wird der Balzbubi hellhörig. Wenn er unser Freund ist, dann kann ich doch bestimmt Kontakt zu ihm herstellen. Ich soll Tabasko ausrichten, er solle jetzt sofort hierherkommen und sich stellen, wie ein Mann. Er will ihn und sein Haus „ficken“. Also seine Basis meint er wohl damit. Auch wenn er kaum einen korrekten Satz herausbekommt, beleidigen kann er. Ich erkläre ihm, dass das so nie funktionieren wird, aber dass ich es ihm ausrichten werde. Ich fürchte schon, dass diese Russen uns notfalls als Faustpfand benutzen könnten oder vielleicht damit drohen, das Lager zu zerstören. Aber was können wir schon tun? Wir sind nur die Samariter und keine Armee.


    Aber ich kenne Tabasko. Er ist nicht der Typ für derartige Spielchen und lässt feist lachend ausrichten, dass er sein Adressschild von der Klingel seines Hauses entfernt hat, damit der Balzbubi sein Haus nicht mehr findet. Er hat einfach keine Lust, mit ihm zu Reden. Das lässt er mich mehrmals ausrichten. Ich schlucke und gebe es wortwörtlich wieder mit gesenktem Blick. Gnade uns Gott… Mein Gegenüber wird wütend, aber glücklicherweise richtet sich sein Zorn nicht gegen mich, Kanu oder das Lager. Stattdessen lässt er mich Tabasko allerlei „Nettigkeiten“ ausrichten. Nach einigem Hin- und Her beschließen die drei Russen, unverrichteter Dinge abzuziehen. Ich glaube, Ronin hat einfach keine Lust mehr auf diesen Kinderkram. Vielleicht hat er verstanden, dass sie uns erschießen und hier alles auf den Kopf stellen könnten, das aber trotzdem niemanden dazu bringen würde, hier wie gefordert zu erscheinen.


    Die drei Russen fahren weiter nach Stary Sobor, wo angeblich ihre Basis sein soll. Na, das kann stimmen oder auch nicht. Ich finde die ganze Situation alles andere als angenehm. Die Jungs hoffen, dass die drei Russen weiter nach Elektrozavodsk fahren und die Straßensperre, die Hendrik dort errichtet hat, greift. Allerdings fahren sie ausgerechnet jetzt dort nicht vorbei.


    Nach diesem Schock brauche ich erst einmal eine kleine Pause und suche Halt bei Kanu. Ich bitte ihn, mich mit nach Nizhnoye zu nehmen. Unterwegs höre ich wieder Custers Stimme, den es nach dem unglücklichen Schusswechsel an die Küste in den Westen verschlagen hat. Ich sage ihm, dass ich seine Ausrüstung in einem Versteck gesichert habe und er sie sich dort wieder abholen kann. Er erklärt etwas hilflos, dass sich versehentlich ein Schuss gelöst hat und der Fremde ihn dann sofort gefunden und erschossen hat. Oh Mann… Custer hat wirklich ein ausgesprochenes Pech.


    In Nizhnoye treffen wir auf einen weiteren Überlebenden namens Alex. Wir grillen ein Huhn gemeinsam über einem Lagerfeuer und bauen am Ende noch einen Ofen hinter dem kleinen Verschlag, den ich zugebaut habe. Dazu muss ich noch einen Hammer aus Solnichniy holen, aber der Aufwand lohnt sich jeden jeden Fall. Wir räuchern noch ein zweites Huhn und bald lassen wir uns das köstliche Fleisch schmecken. Es tröstet uns etwas über die Ereignisse des heutigen Tages hinweg. Schließlich setzt Alex seinen Weg fort und wir wünschen ihm alles Gute und dass er am Leben bleibt.


    Der Abend endet in relativer Stille, unterbrochen nur von einem Angriff auf Henrik, bei dem er eine Falle erfolgreich einsetzt. Die Ruhe ist trügerisch, ein fragiler Moment im Herzen des Sturms. In diesem Chaos fühlt es sich an, als stünde ich im Zentrum des Geschehens, gleichzeitig jedoch gefangen im Auge des Küstensturms, ohne zu wissen, welche Richtung er einschlagen wird. Ich möchte mehr, als immer nur mitgerissen werden!

  • Herz-Aus-Gold

    Hat den Titel des Themas von „Tagebuch eines Samariters in Chernarus (Vanilla) - Band 2“ zu „Tagebuch eines Samariters in Chernarus (Vanilla) - Band 2 (1.21)“ geändert.
  • 01.07.2023 – Meine Herz


    Es ist viel los bei uns am Camp und wir befinden uns im regen Austausch. Thema Nummer eins sind natürlich „die Russen“, oder die „Balzbubis“, wie ich sie in Ermangelung eines eigenen Namens wegen ihres doch seltsamen Auftretens scherzhaft nenne. Henriks Basis wurde erneut angegriffen, aber seine Sprengfallen zeigen Wirkung. Da er nun besonders vorsichtig ist, stoppt er auch einen Fahrer mit einem roten Gunter mit einer Straßensperre. Zunächst denke ich, dass er da vielleicht den Räuber des Bambi-Mobils angehalten haben könnte, aber der Fremde gibt sich als unser Bekannter Xam zu erkennen und versichert mir glaubhaft, dass er das Auto in Kamyshovo gefunden und wieder flott gemacht habe und seither damit ganz Chernarus bereist. Ich glaube ihm, denn bisher hat Xam sich uns gegenüber stets korrekt und freundlich verhalten und so auch Henrik sieht es so. Ich wünsche ihm alles Gute und Henrik lässt ihn ziehen.


    Am Camp in Solnichniy treffen Kanu, Jammet und ich auf den „coolen Alex“, bzw. den „Allgäuer Alex“, wie er sich uns vorstellt. Ich statte ihn mit dem Nötigsten aus. Auch er zeigt sich dankbar für die Starthilfe und geht dann in Ruhe seinen Weg. Zeit für uns, nach Prigorodki zurückzukehren.


    Dort angekommen verabschieden sich Jammet und Kanu wieder und ich baue noch etwas Gemüse an. Ein weiterer Überlebender stößt zu uns, der sich selbst zunächst „Negan“ nennt, aber auf Nachfragen hin nichts mit dem zur Sage gewordenen Negan aus dem anderen Chernarus zu tun hat. Es ist vielmehr ein Deckname, den er sich ausgesucht hat, aber eigentlich heißt er Jack und so möchte ich ihn auch viel lieber nennen. Ich glaube, er hat schlimme Dinge erlebt und ist auf der Suche nach Halt im Leben, der aber natürlich in solch einer Umgebung kaum zu finden ist. Außerdem hat er auch körperliche Beschwerden, denn er leidet unter einer starken Erkältung. Ich helfe ihm, seine Krankheit zu kurieren, obwohl sie sehr hartnäckig ist. Dann zieht er weiter.


    Um auf andere Gedanken zu kommen und das Lager etwas zu füllen, angle ich etwas. Beim Fischen sehe ich Jack wieder, der von der Küste kommt. Er berichtet mir, dass er von einem schwarzen Gunter totgefahren wurde und darum wieder hier neustarten musste. Ich bekunde ihm mein Beileid. Wer hat wohl hinter dem Steuer gesessen und tut so etwas? Ein Schauer durchfährt mich, als ich daran denke, wie ich selbst vor einiger Zeit nur knapp einem Auto entkommen konnte. Nein, heute ist wirklich nicht Jacks Tag, aber trotzdem ist sein Wille ungebrochen und er zieht erneut in Richtung Norden.


    Als Kanu zurück ist, meldet er Schüsse aus der Richtung von Pavlovo. Charly und seine Jungs haben dort eine riesige Basis mitten ins Gasgebiet gebaut. Wer macht denn auch sowas? Alarmiert prüfen sie sofort, ob dort noch alles steht. Leider sind sie zu spät und vieles wurde bereits ausgeräumt. Allerdings nehmen sie es sportlich, denn ihr persönlicher Verlust hält sich in Grenzen. Charly ist sogar amüsiert, wie viel Munition und Sprengstoff die Gruppe verschwendet hat, nur um an unbedeutenden Loot zu gelangen. Trotzdem beschließen die Jungs, umzuziehen.


    Kanu und Jammet nutzen den Rest des Tages, um Bambikisten abzufahren. Unterwegs stoßen sie buchstäblich mit den Russen zusammen, die ihnen an einer Kurve mit einem schwarzen Gunter entgegenkommen. Meine Alarmglocken läuten. Mit erhobenen Waffen steigen die Russen aus, Kanu und Jammet grüßen sie jedoch freundlich, wie echte Samariter eben.


    „Oh, it’s an accident! We need to call the police!”, scherzt Ronin, der die beiden wohl erkennt. Klar es ist ein Unfall, aber eine Polizei, die man wirklich rufen könnte, gibt es schon lange nicht mehr. Kanu erklärt Ronin, dass er auf der richtigen Straßenseite gefahren ist: rechts. Hoffentlich sind sie gut versichert! Ich bin erleichtert darüber, dass Jammet und Kanu mit ihm so gut scherzen können, aber etwas kommt Ronin seltsam vor. Innerhalb von 30 Minuten ist dies schon der zweite rote Gunter, den er heute zu Gesicht bekommt. Er berichtet, dass sie in Stary Sobor einen anderen Überlebenden in einem roten Gunter gesehen haben. Natürlich haben sie ihn nicht getötet, sondern nur mit ihm geredet. Ob das so stimmt? Wer war das? Der Räuber unseres roten Gunters oder vielleicht sogar Xam, der auch mit einem roten Gunter unterwegs ist? Das wäre schon ein großer Zufall.


    Kanu prüft die Autos und stellt fest, dass alle noch in Ordnung sind und sie weiterfahren können. Ronin berichtet noch davon, dass er um Pavlovo herum einige Autos gesehen habe und sie dort in der Gegend eine Basis ausgeräumt hätten. Aha, das erklärt einiges. Also waren es in der Tat die drei Russen, die die Basis der Jungs geknackt haben. Irgendwie beeindruckend und unheimlich zu gleich. Aber Kanu lässt sich nichts anmerken. Wir bleiben neutral.


    Ronin möchte aufbrechen, aber Jammet unterhält sich noch etwas mit ihm. Da hält es Cyber Sportsam nicht mehr aus. Er vollführt wieder einen seltsamen Tanz, rempelt mit seinem Körper und seinen Armen mehrmals das rote Bambimobil an und fragt Kanu: „Where is mein Herz?“ Kanu begreift sofort. Er baut sich vor seinem Gegenüber zu seiner vollen Größe auf, sieht ihn mit strengem Blick an und sagt mit tiefer Stimme voller Nachdruck: „That’s meine Herz!“ Der Balzbubi schüttelt den Kopf: „No, it’s meine Herz!“ Kanu beginnt zu lachen und wiederholt sich: „No, it’s mine. Definately mine.“ Als ich das über Funk höre, stockt mir der Atem. Einerseits bin ich nicht einfach ein Objekt, um das man sich streiten kann. Auf der anderen Seite weicht der anfängliche Ärger auch schnell einer Angst. Was, wenn Cyber Sportsman nun ernst macht? War das eben Kanus Todesurteil? Wie wird sein Gegenüber darauf reagieren? Ich mache mir wirklich große Sorgen um Kanus Sicherheit und da passiert es. Ganz offen fragt er: „We are married, you know?“ Erklärend fügt er hinzu: „We’ve been married for twenty years now.” Ich kann förmlich hören, wie am anderen Ende eine Kinnlade herunterklappen muss. Entweder Kanu oder ich… wir sind sowas von tot! „She’s married with you?“, fragt er ungläubig. „Yes, for twenty years.” Bestätigt Kanu. “And?”, fragt der Balzbubi gedehnt. „You’re too late“, grins Kanu triumphierend. Mann, Mann, Mann! Mir fehlen die Worte…Aber statt Kanu auf der Stelle zu erschießen und mir mit dem Tod zu drohen, sagt Cyber Sportsmann lediglich nochmals: „Meine Herz.“ Kanu schüttelt nochmals den Kopf, doch noch ehe das Spiel weitergehen kann, möchte Ronin Kanu noch eine Waffe als Entschädigung für den Unfall mitgeben, aber dieser lehnt ab und meint, dass sie es eilig hätten und er mit Jammet auch weitermüsse. Also verabschiedet er sich. Cyber Sportsman steigt grummelnd und unverrichteter Dinge in sein Auto. Wer weiß, was nun in ihm vorgeht? Ich bin auf jeden Fall erleichtert, dass Jammet und Kanu nichts passiert ist.


    Meine Freunde steigen ein und können ihren Weg fortsetzen. Jammet seufzt tief und erleichtert: „Das war jetzt mal… anders.“ Kanu lacht wieder und melde sich bei mir über Funk: „Ja, Schatz. Der hat echt einen Hasen an dir gefressen…“ Eigentlich müsste es ‚Narren‘ heißen, aber ich bin zu perplex, um ihn da zu korrigieren. Das wird Folgen haben...


    * * *

  • Um etwas Ablenkung zu finden, beginne ich in Solnichniy damit, unsere Vorräte aufzustocken. Obwohl ich schon gefischt habe, ist Vorsorge besser als Nachsorge. Wir müssen auch künftig gut auf Bambi-Ströme reagieren können. Deshalb habe ich in der Nähe unseres Lagers am Meer eine Holzkiste platziert, die mit Angelruten, ein paar Haken und einem Messer gefüllt ist. Außerdem bin ich auf ein schönes Haus mit leeren Stahlregalen gestoßen, das mich auf eine Idee gebracht hat, die mir schon länger im Kopf herumspukt: Wie wäre es mit einer Art Samariter-Wohngemeinschaft? Dieses Gebäude könnte sich perfekt als Lagerraum eignen. Also begann ich damit, ein Zaun-Kit zu experimentieren und eine Wand zu errichten. Die Idee für meine „Samariter-WG“ wächst.


    Während ich mich entspannt meiner Arbeit widme, sind Kanu und Jammet unterwegs und stoßen auf einen abgestürzten Helikopter, den sie durchsuchen. Glücklicherweise bleiben sie unverletzt, und Jammet ist besonders vorsichtig. "Ich möchte wirklich vermeiden, auf Zombies zu schießen", sagt er. Recht hat er, schließlich weiß man nie, wer Schüsse hört und ihnen folgt. Es stellt sich heraus, dass er klug gehandelt hat, denn während Wolfgang sicher Ausschau in Kozlovka hält, meldet sich Xam erneut bei uns und bittet um Hilfe. Er wurde gerade in der Nähe von Novy Sobor von Fremden angeschossen, und es scheint, als würde er gerade regelrecht ausgeraubt.


    Wir hören Bruchstücke des Gesprächs, das Xam mit den Banditen führt. Offenbar befindet er sich südlich von Novy Sobor, genauer gesagt in Nadezhdino. Ich fordere alle auf, Funkstille zu bewahren, damit wir dem Gespräch lauschen und vielleicht etwas für ihn tun können. "Ruhe, Ruhe Ruhe!", ermahne ich alle, und wir hören zu, wie Xam versucht, mit seinem Angreifer zu kommunizieren. "What do you mean? I didn't hear you, man!", beginnt er. Dann folgt eine kurze Pause, und schließlich hören wir von ihm: "No, it's fine."


    In der Zwischenzeit gibt er seinen Standpunkt preis, damit Jammet und Kanu ihm vielleicht helfen können. "I play solo", sagt Xam wieder. Im Grunde hat er recht. Er ist einer unserer Einzelgänger und ist meist allein unterwegs. Allerdings bezeichnet ihn unser Chernarusse Alexej mit einem schelmischen Grinsen als "Lügner", wobei ich betone, dass das nicht stimmt. Xam ist Einzelgänger. Klar er hat Kontakt zu uns, aber er ist Einzelgänger. "Pink armband?", fragt er nun und überlegt: "I haven't seen any people around." Die Sache ist klar. Sein Gegenüber scheint ihn nach einer Gruppe mit lilafarbenen Armbinden zu fragen. Das kommt mir sehr bekannt vor, und ich vermute stark, dass es die Balzbubis sind, die ihn heimtückisch angegriffen haben.


    Wenn ich die einseitigen Dialogfetzen richtig interpretiere, waren sie auf der Suche nach der Tabaskos Gruppe. Dabei sahen sie Xam in seinem roten Gunter und schossen auf ihn, in der Hoffnung, einen von ihnen zu erwischen. Das hätte genauso gut Kanu sein können. Ob das beabsichtigt war? Zum Glück hat Xam den Angriff überlebt und war lediglich bewusstlos. Über die Gruppe kann er nicht viel sagen, da er meist allein unterwegs ist. Das Gespräch verläuft mehr oder weniger friedlich, so gut es eben bei einem solchen Überfall möglich ist. Aber Xam benimmt sich besonnen und wehrt sich nicht, was ihm das Leben rettet. Sein Auto ist leider beschädigt und fahruntauglich, aber er bekommt etwas Essen von den Fremden. Schließlich verabschiedet er sich von ihnen und bedankt sich dafür, dass sie ihn nicht gleich erschossen haben. Als die Fremden davonfahren, wendet sich Xam wieder an uns. "Was für eine Begegnung war das, Alter!", seufzt er. "Ich weiß nicht, ob es die sind... sind es... sind es die Chernarussen vielleicht?", fragt er vorsichtig nach. Alexej verneint sofort.


    "Osteuropäischer Akzent?", möchte Kanu wissen, und wir denken beide dasselbe. Sie haben nach "pinken" Armbändern gefragt. Das könnte ins Bild passen. Aber immerhin haben sie gesprochen, bevor sie geschossen haben. Das ist auf gewisse Weise eine Verbesserung im Vergleich zum Vortag, wenn man so will. "Sie gehen jetzt in Richtung Süden. Sie haben einen schwarzen Gunter", berichtet Xam. Kanu fragt, wohin sie wohl unterwegs sind, und als von einem schwarzen Gunter die Rede ist, schrillen bei mir die Alarmglocken. Jack wurde doch erst heute von einem schwarzen Gunter überfahren...


    Die Fremden fahren weiter, und Xam ist irgendwo zwischen Nadezhda und Novy Sobor an einer Brücke gestrandet, da sein Autokühler bei dem Angriff beschädigt wurde. Außerdem haben sie Xams Granaten und etwas Munition mitgenommen, aber sie haben ihn nicht komplett ausgeraubt. Wir sind uns einig, dass es wahrscheinlich die "Balzrussen" sind, wie Kanu sie zwischenzeitlich kurz nennt. Aber ich bleibe bei dem Begriff "Balzbubis", da er einfach besser passt. Wie auch immer, wir versuchen neutral zu bleiben, auch wenn es schon ein starker Tobak ist, wie diese neue Gruppe auftritt.


    Kanu und Jammet beschließen, dem Ausgeraubten zu helfen. Sie holen zuerst bei mir in Solnichniy einen Kühler ab, den ich vorsorglich gelagert habe. Dann geht es auf eine abenteuerliche Fahrt. Alexej und ich unterhalten uns noch ein wenig über sowjetischen Kwas und dass es heutzutage wohl keinen wirklich guten mehr gibt, aber unsere Unterhaltung wird von Kanu unterbrochen, der bei Xam ankommt und ein weiteres fahrendes Auto meldet. Ein schwarzer Gunter und drei Leute steigen aus! Das verheißt nichts Gutes.


    Kanu fährt hupend an den fremden Autos vorbei. Xam flucht: "Shit, shit, shit!", sichtlich genervt über die Ankunft der anderen Fremden und Jammet? Ja, Jammet grüßt die Fremden einfach freundlich, als sei nichts geschehen: "Hello!" Vielleicht das beste, was er machen konnte. Eine Stimme, er merkt sofort, dass es der Anführer der Balzbubis ist, grüßt zurück. Man hört an seinem Tonfall deutlich, dass ihm die Sache nicht gefällt und vor allem, dass er Kanu und Jammet sowie dem roten Gunter schon wieder über den Weg läuft…Verzeihung: fährt. "Das sind die wieder, ne?", fragt Xam in den Funkkanal. Jammet nimmt es mit Humor und lacht laut, und auch Kanu steigt aus dem Wagen und grinst Ronin an: "Long time no see, I would say!" "We just killed this guy...", setzt Ronin an und zeigt auf Xam, verbessert sich jedoch schnell: "We just met this guy so we tell him about you." Ich habe keine Ahnung, was er mit dem zweiten Teil meint. Wer hat wem etwas über wen erzählt?


    Kanu geht jedenfalls auf Xam zu und grüßt ihn ebenfalls freundlich: "Hello! We just got an emergency call that there is a broken car. So we are here to fix the car." Das leuchtet Ronin ein. "Yes, yes, yes, yes", bestätigt er, "I tell you about this guy so that we see another red Gunter. It's that guy. We don't kill him, we just speak with him because we think it's a disguise in a pink armband, you know?"


    Puh... also an seinem Englisch sollte er noch arbeiten, denn er vermischt hier Gegenwart und Vergangenheit munter, aber ich verstehe, was er meint. Er erklärt also, dass Xam der Typ mit dem roten Gunter ist, von dem er Kanu zuvor bei ihrem Treffen berichtet hat und dass sie auf ihn geschossen haben, weil sie dachten, er sei einer von der Gruppe mit dem lilafarbenen Armband und habe sich nur verkleidet. Und ja, das Armband ist eigentlich lila und nicht pink, auch wenn die ganze Welt von "pinken Armbändern" spricht. Aber das mit den Farben ist ja so eine Sache und mit begrenzten Englischkenntnissen ist pink einfacher auszusprechen als beispielsweise purple.


    Jedenfalls wechselt Kanu schnell den Kühler an Xams Auto aus. Während er sich über das Auto beugt, wird es dem junge Cyber Sportsman wohl zu viel und er schlägt mit seinem Schwert auf das Auto ein. Er versucht sogar, Kanu zu treffen, doch dieser geht gerade in diesem Moment einen Schritt zurück, ohne zu bemerken, was eigentlich vor sich geht. Zuerst denkt er an Schüsse und fragte daher in die Runde, wer gerade geschossen habe. Aber niemand meldet sich. "Die Typen sind schon wieder hier, ey...", stöhnt Jammet, der über das Treffen nicht so erfreut ist. Kein Wunder, legen die Herren auch schon wieder ein seltsames Verhalten an den Tag. Naja, zumindest dieser Cybersportler, der nun jedoch von Kanu und dem Auto abgelassen hat, als sei nichts geschehen.


    Kanu holt etwas Wasser für den Kühler vom nahegelegenen Fluss, und die Balzbubis versuchen, das Auto mit einem Schweißbrenner zu reparieren. "See? Like yesterday from factory!", sagt Ronin lachend. Der Cybersportler kriecht unter das Auto und sagt etwas Unverständliches. Es fehlt noch eine Zündkerze, und ein Reifen ist stark beschädigt, aber Jammet und Kanu schaffen es, das zu reparieren. Irgendwie gelingt es dem Cybersportler, ein Radio oder etwas Ähnliches einzuschalten und eigenartige Musik abzuspielen. Abgesehen davon trägt er ständig sein Nachtsichtgerät. Bei Tageslicht. Und es ist eingeschaltet, wie Jammet feststellt. Wirklich seltsam, dieser Typ.


    Das Auto ist jedoch gerettet und fahrtüchtig. Xam bedankt sich, und Kanu verabschiedet sich. Ronin übergibt Kanu noch etwas Gegengift gegen das Pockenvirus und eine Kochsalzlösung, falls er die Dinge gebrauchen kann. Mein Mann bedankt sich höflich. Unterdessen dröhnt die eigenartige Musik des Cyber Sportsman weiter, aber wieder scheint ihn jeder zu ignorieren. "I think we have to go. Till next time!", verabschiedet sich Kanu. Er läuft mit Jammet zum roten Bambi-Mobil, belädt den Kofferraum, und unterdessen setzt der Cybersportler noch einen drauf und spielt "What is love?" von Haddaway in stark verlangsamtem Tempo ab. "What is love? Baby don't hurt me, don't hurt me, no more...", dröhnt es träge und tief aus seiner Richtung. Was für ein klares Symbol... Hinten am Auto kommt er zum Stehen und schlägt mit einem kräftigen Faustschlag auf das Rücklicht ein. Aber Kanu und Jammet lassen sich nicht beirren und fahren so schnell wie möglich los. Weg von diesen Verrückten... wobei, Ronin scheint wirklich vernünftig zu sein, aber dieser hormongesteuerte Cyber Sportsman ist schon ein komischer Vogel.


    Als sie in Sicherheit sind, seufzt Jammet: "Okay... endlich Ruhe!" Xam bedankt sich im Funk noch bei den beiden: "Danke fürs Fixen!" Jammet lacht. "Kein Problem. Sieh nur zu, dass du von diesen schießwütigen Mexikanern wegkommst..." Ich lache. Ja, früher gab es doch mal diese Zeichentrickserie mit einem Mexikaner und einem Cowboyhut, der immer gleich mit zwei Pistolen um sich schoss. Wie hieß diese Serie noch gleich? Ich habe es wohl vergessen. "Wo kamen die denn jetzt schon wieder her?", reißt mich Xam aus meinen Gedanken. Kanu und Jammet haben keine Antwort darauf. Wir wissen es nicht, aber vermutlich haben sie denselben Weg zurückgenommen, das Auto gesehen und wurden neugierig.


    Ja, das sind irgendwie unangenehme Zeitgenossen, und ich glaube, das letzte Wort in Sachen "Meine Herz" ist noch nicht gesprochen, aber zumindest lassen sie uns leben. Ich bleibe in Solnichniy und baue ein Haus zu einem Lager um, um noch mehr Vorräte lagern zu können. Irgendetwas sagt mir, dass ich in nächster Zeit mit vielen, vielen Bambis rechnen muss. Aber wenigstens sind Xam und am Ende auch Proxxo zurückgekehrt, und ich freue mich darüber, ihre Stimmen mal wieder im Funkkanal zu hören.

  • 02.07.2023 – Sturm auf die Gefängnisinsel!


    In den dunklen Tagen nach dem Ausbruch der Zombie-Apokalypse war das Gefängnis von Chernarus ein Ort des Chaos und der Verzweiflung. Lange Zeit galt die Gefängnisinsel Storozh noch als sicherer Ort, doch als einige Überlebende vor lauter Panik übersetzten, brachte einige von ihnen das Virus mit auf die Insel. Bei den hygienischen Zuständen dort dauerte es nicht lange und die Pandemie grassierte ebenfalls auf der kleinen Insel. Es kam, wie es kommen musste: Während draußen die Welt zusammenbrach, kämpften auch die Insassen und das Wachpersonal ums nackte Überleben. Unter den Insassen waren einige, die ihre Chance ergriffen, als das Gefängnispersonal von den Untoten überrannt wurde. Sie erlangten ihre Freiheit, allerdings in einer Welt, die von Gefahren und Unsicherheit geprägt war.


    Die ehemaligen Häftlinge bildeten eine Gemeinschaft und nannten sich selbst die ‚Verlorenen Seelen‘. Sie waren gezeichnet von ihrer Zeit im Gefängnis und den Spuren ihrer Vergangenheit, aber sie hatten sich zweckmäßig zusammengeschlossen, um in dieser feindseligen Umgebung zu überleben. Sie hatten keine andere Wahl und sicherten die Gefängnisinsel für sich.


    Einige Zeit verging und eine Polizeieinheit von Chernarus, die aus den wenigen überlebenden Polizisten bestand, bekam die Aufgabe Ordnung und Sicherheit aufrechtzuerhalten und die Gefangenen entweder zu eliminieren oder festzusetzen, doch die Situation war überwältigend. Die Polizisten waren in der Unterzahl und ihre Ressourcen begrenzt.


    Einige Mitglieder der Verlorenen Seelen hatten in Erfahrung gebracht, dass die Polizeieinheit Pläne schmiedete, um das ehemalige Gefängnis zurückzuerobern. Sie sahen dies natürlich als eine direkte Bedrohung an und beschlossen, sich zu verteidigen. Sie wussten zwar, dass die Polizei besser ausgerüstet war und dass der Kampf hart werden würde, aber sie waren bereit, bis zum Ende zu kämpfen. Viel zu verlieren hatten sie ohnehin nicht.


    Die Polizeieinheit hatte ihren Auftrag, die Insel zurückzuerobern. Allerdings war den leitenden Wachmännern klar, dass sie allein keine Chance haben würden. Darum sollte eine Einheit die Insel stürmen und als Signal für das Festland eine Fahne im Gefängnishof hissen, um zu signalisieren, dass der Aufstand unter Kontrolle war.


    Die Spannungen zwischen den Verlorenen Seelen und der Polizeieinheit erreichten ihren Höhepunkt, als die Pläne beider Seiten enthüllt wurden. Die Verlorenen Seelen würden das Gefängnis verteidigen, während die Polizei versuchen würde, die Fahne zu hissen.


    Tja, und da kommen wir ins "Spiel". Ich benutze das Wort "Spiel" bewusst, denn tatsächlich hat Tabasko sich dieses Event ausgedacht, um unseren oft tristen Alltag ein wenig aufzulockern. Solche kleinen Gelegenheiten gibt es immer wieder bei uns, und wir nennen sie liebevoll "Events". Dieses spezielle Event sollte nicht nur ein Kampf um das Gefängnis sein, sondern auch eine Gelegenheit für beide Seiten bieten, ihre Stärke und ihren Überlebenswillen zu beweisen sowie als Gruppe enger zusammenzuwachsen. Schon seit Wochen hat Tabasko auf der Insel im Stillen gewerkelt, Waffen, Ausrüstung und Munition besorgt, um uns dieses Spektakel zu ermöglichen und heute war es endlich soweit.


    Nachfolgend werde ich kurz schildern, was sich während unseres Events auf der Gefängnisinsel ereignet hat. Alles begann damit, dass wir uns am Bambi-Auffanglager in Prigorodki verabredeten. Dies war ziemlich riskant, da wir damit rechneten, dass Schaulustige und vielleicht auch Leute, die ihr eigenes kleines Event planten, indem sie auf uns schossen, in der Nähe sein könnten. Trotz einiger neckischer Kommentare am Brunnen und ein paar Verletzter (die jedoch sofort professionell versorgt wurden), machten wir uns auf den Weg in mehreren Fahrzeugen.


    Unser "Wettergott" Murphy war persönlich zum Event erschienen, und wir fuhren voller Vorfreude auf das bevorstehende Spektakel die Küstenstraße entlang. Unsere Gruppe bestand aus Alexej von den Chernarussen, Bex, Blue, Charly, Henrik, Kanu, Murphy, Proxxo, Shizo, Tabasko, einem Freund von Alexej (der nur Russisch sprach) und meiner Wenigkeit.


    Auf Höhe der Tankstelle östlich von Chernogorsk war es dann soweit: Schüsse zerrissen die Luft, und der Fahrer vor uns wurde getroffen. Auch Blue hatte es erwischt. Sofort hielten wir an und suchten Deckung. Die Kugeln flogen knapp über unsere Köpfe hinweg. Eindeutig ein Scharfschütze, der es auf uns abgesehen hatte! Es entbrannte ein wildes Gemetzel, bei dem auch ich einige Treffer abbekam. Wir boten ohnehin wenig Gegenwehr, denn wir waren alle praktisch als Bambis mitgekommen, ohne nennenswerte Ausrüstung, da unsere Eventbekleidung erst auf der Gefängnisinsel auf uns wartete. Glücklicherweise hatte jemand – ich glaube, es waren Murphy und zwei der Jungs – doch einige Waffen dabei. Sie teilten mit uns ihre Habe und gingen auf die Jagd, um den Angreifer zu stellen. Es kam zu einem Schusswechsel in der Nähe der Kirche, aber glücklicherweise konnten Murphy und Tabasko den Schützen auf dem Hügel unterhalb des Kriegerdenkmals stellen und außer Gefecht setzen.


    Mit einiger Verzögerung erreichten wir schließlich doch die Gefängnisinsel. Dort musste erst einmal der größte Hunger gestellt werden und anschließend teilten wir uns in zwei Teams auf: die Wärter und die Gefangenen, und wir übernahmen unsere Rollen.


    Die Sonne senkte sich langsam am Horizont, als die ersten Schüsse durch die Luft peitschten. Murphys Aufzeichnungen, die wir liebevoll "Logfile" nannten, erzählen diese Geschichte besser, als ich es je könnte. Meine Hände zittern immer noch von dieser intensiven Erfahrung.


    Um 21:18 Uhr erlitt Bex Verletzungen durch Wachmann Murphy, der offensichtlich nicht gewillt war, Bex einfach so ziehen zu lassen. Wenig später, um 21:20 Uhr, stand Wachmann Shizo Charly gegenüber, dessen Schüsse ihr Ziel präzise trafen. Shizo verstarb, und die Stille danach sprach Bände.


    Es dauerte nicht lange, bis der Schlagabtausch weiterging, als Wachmann Alexej und Henrik in das Geschehen eingriffen. Henrik, von Murphy schwer verwundet, hielt jedoch tapfer stand und setzte den Kampf von seiner erhöhten Position aus fort. Efim, ein Freund von Alexej, beteiligte sich ebenfalls und verwickelte Kanu in einen unerfreulichen Schusswechsel, bei dem Kanu leider den Kürzeren zog.


    Der Kampf erreichte einen weiteren Höhepunkt, als Proxxo und Wachmann Tabasko sich in ein hitziges Gefecht verwickelten. Tabasko gelang es, Proxxo zu besiegen, doch er selbst erlag den Schüssen von Murphy.


    Das Blatt wendete sich erneut, als ich versuchte, aus meiner Deckung heraus Murphy das Leben schwer zu machen. Leider traf ich nur teilweise und fiel so kurzerhand selbst Murphys M16 zum Opfer.


    Es schien, als gäbe es kein Ende in Sicht, denn Henrik und Bex erlagen ebenfalls den Angriffen von Murphy. Doch die Geschichte nahm eine überraschende Wendung, als Efim erschossen wurde und Blue den Chernarussen Alexej zunächst ins rechte Bein und dann in den Bauch traf, woraufhin dieser leblos auf dem Gefängnishof zusammenbrach. Gekonnt schnappte sich Blue die Fahne aus Alexejs Inventar und war bereit, sie mit seinem Leben zu verteidigen.


    Die Wachmänner waren nun etwas ins Hintertreffen geraten, aber noch gab der letzte Überlebende, Murphy, nicht auf. Es kam, wie es kommen musste: Blue stand nun Murphy gegenüber – oder vielmehr versteckte er sich im Gefängnishof und wartete darauf, einen Treffer zu landen. Leider knurrte Blues Magen sehr laut, sodass Murphy versuchte, seinen Gegner mental zur Aufgabe zu überreden: „Na Kollege? Hast du Hunger? Hab was zu Essen, das tausch ich gegen die Fahne!“ Aber da hatte er nicht mit Blues Siegeswillen gerechnet! Blue verharrte trotz knurrendem Magen ruhig und blieb im Gefängnishof auf der Lauer. Unterdessen humpelte der sichtlich mitgenommene Murphy mit seiner Waffe im Anschlag vor dem Eingang zum Hof hin und her. „Also, wir haben jetzt zwei Möglichkeiten…“, begann er erneut vor dem Hof wieder eindringlich auf Blue einzureden, „entweder du gibst auf, oder du gibst auf.“ Viel konnte er nicht machen, denn sein gebrochenes Bein hinderte ihn daran, schnell in den Hof zu sprinten oder über die Mauer zu klettern. So wartete er ruhig ab, bis er an der Mauer dann einen Teil von Blues Kopf bemerkte. Sofort schoss er mehrfach, bis sein Gegner endlich umfiel. Schwer verwundet humpelte Murphy zu Blues Leiche, schnappte sich die Fahne und hisste sie stolz im Gefängnishof. Der Aufstand war niedergeschlagen worden.


    Blue zog seine Maschinenpistole und schoss damit Murphy direkt in den Kopf. Er legte nach und bezwang so einen letzten Widersacher.


    Die Sonne sank weiter dem Horizont entgegen, als der Rauch der Schusswechsel langsam verzog. Die Spuren dieses Tages bleiben in unseren Herzen und in diesen Logeinträgen festgehalten. Wer weiß, was der morgige Tag bringen wird? In dieser Welt ist nichts sicher, außer der Tatsache, dass der Kampf ums Überleben niemals endet. Aber für heute war es doch mal eine willkommene Abwechslung, wenn man von dem Fremden Scharfschützen einmal absieht.

  • 04.07.2023 - Erschütterungen

    Heute gehe ich es nach dem anstrengenden, aber äußerst unterhaltsamen Event gestern etwas ruhiger an. Frisch gestärkt beschließe ich, in Solnichniy nach dem Rechten zu sehen und meine Runde zu drehen. Das Camp sieht gut aus, die Unterstände sind ordentlich gefüllt. Blue gesellt sich zu mir im Funkkanal, und wir plaudern etwas über den gestrigen Abend. „Ja meine Güte, du hast gestern die Leute ganz schön in Schach gehalten!“, starte ich das Gespräch. Blue ist bescheiden und gibt verlegen ein „Naja…“ von sich, „ich habe einen erschossen!“, stellt er dann klar. „Jahaa…! Aber du hast sie in Schach gehalten. Das war noch besser!“, beharre ich. Blue lacht. „Naja, ich wünschte, ich wäre etwas weiter zurückgegangen, dann hätte er mich hinter der Mauer nicht getroffen.“ Ich kontere, dass ich im Gegensatz zu ihm keinen erwischt habe. Er versucht mich aufzubauen, dass ich zumindest einen verletzt habe. So geht es eine Weile hin und her und bald lachen wir gemeinsam. Wir beschließen die Pseudodiskussion mit einem einvernehmlichen: „Ja… war cool, war cool! War auf jeden Fall cool!“


    Doch dann geschieht es mitten in der guten Laune im Supermarkt von Solnichniy. Es geschieht plötzlich und ohne Vorwarnung. Als ich gerade die Doppeltüren öffne, gerate ich ins Stolpern. „Oh Scheiße“, fluche ich, „Stolperdraht!“ und kann mich gerade noch rechtzeitig fangen und hinter dem Tresen in Sicherheit bringen. Ein lauter Knall hinter mir bestätigt meine schlimmsten Befürchtungen. In regelrechter Schockstarre höre ich nur noch den Schall, der sich druckwellenartig ausbreitet, um dann im einsamen Dorf zu verhallen. Dann ist es totenstill. „Wow… DAS war knapp!“, ächze ich, als ich wieder bei Sinnen bin. „Bist du gestorben oder was?“, fragt Blue nach. „Nein… ich hab‘s überlebt“, keuche ich noch immer ganz benommen und stammele weiter Dinge wie „Holy Shit!“ und sonst andere unflätige Ausdrücke. Mein Sprachzentrum funktioniert offensichtlich nur rudimentär, aber es funktioniert. Ergo: Ich lebe ich in der Tat noch. „War das ne Mine oder war das nur ne Granate?“, will Blue wissen, und ich brauche etwas, um die Situation zu analysieren.

    Jemand hat offensichtlich einen gefährlichen Stolperdraht gespannt, der zu einer Handgranate führte, direkt am Eingang des Supermarktes. Glücklicherweise habe ich so unfreiwillig die Falle entschärft und habe hinter der Theke nichts abbekommen. Es muss eine explosive Granate gewesen sein, denn bei einer Sprengstofffalle wäre mir nicht genügend Zeit zum Ausweichen geblieben. So bleibe ich zumindest äußerlich unverletzt. Ein Glück, dass ich Jammets Rat beherzigt habe: „Wenn du stolperst, einfach weiterlaufen!“ Sonst wäre ich jetzt wohl überall im Shop verteilt. Allerdings schmerzt der Knall in meinen Ohren und der Schock sitzt nach wie vor tief.


    Ich warte einige Minuten, ob durch den Knall ein anderer Überlebender aufgeschreckt wurde und nach seiner Falle sehen möchte, aber nichts passiert. Lediglich eine Horde Zombies ist dem Knall gefolgt und rennt nun zum Supermarkt. Ich wehre mich und bringe mich anschließend in einem Haus in Sicherheit. Gut, eine Falle wäre entschärft, aber das bedeutet, dass da noch andere sein könnten. „Das sitzt tief, Blue. Das sitzt tief!“, murmle ich.

    Erinnerungen an die Zeit vor einigen Monaten kommen hoch, als unsere Auffanglager regelmäßig mit Sprengfallen sabotiert wurden. Ich habe keinen konkreten Verdacht, wer dafür verantwortlich sein könnte, aber ich weiß genau, wer die Autos gestern Abend angegriffen hat. Blue meint zwar, dass die Person nicht zwangsläufig das Event willentlich sabotiert haben muss, aber ich bin da anderer Meinung. Ich habe einen Verdacht und der war mir schon gestern Abend kurz gekommen, aber der Trubel des Events hat ihn in den Hintergrund gedrängt. Wenn ich so darüber nachdenke: Alles passt so gut zusammen! Chernogorsk, der Schütze im Tarnanzug, der Drang andere zu veräppeln… Satsuki! Ich beschließe, ihn später zur Rede zu stellen, denn so ganz ohne Beweise möchte ich keine Verdächtigungen erheben.

    Bambi_Samariter_small.gif Herz-Aus-Gold

    • Neu im Spiel und/oder Interesse am gemeinsamen Spielen auf dem Vanilla-Server? Schreib mir! :) :lovedayz: 
    • Autor: Tagebuch eines Samariters in Chernaus (Vanilla) (Band 1| Band 2 | Band 3)

    Einmal editiert, zuletzt von Herz-Aus-Gold () aus folgendem Grund: Aufgrund der Umstrukturierung des Kapitels wurde der Beitrag abgeändert.

  • 03.07.2023 – Nachtrag I

    Um auf andere Gedanken zu kommen, wechseln Blue und ich den Funkkanal zu Dani und Shizo, die sich angeregt unterhalten. Dani berichtet, dass er die Russen in der Nähe von Elektrozavodsk mit einem LKW gesehen haben will. Die Frage steht im Raum, ob das der LKW von Max und Kevin gewesen sein könnte. Shizo bezweifelt das. Vielleicht war es auch nur Durog mit seinem Lastwagen? Aber Dani hat bereits Kontakt zu ihm aufgenommen, und weiß daher, dass der Einzelgänger noch keinen Besuch von den Balzbubis hatte. In Bezug auf das Attentat gestern Abend haben weder Shizo noch Dani einen Verdacht. Das macht also zwei Rätsel und ich behalte meine Befürchtung für mich.

    Shizo bietet Dani ein Auto an und lädt ihn zu sich in den Norden in seine Basis ein. Das könnte die künftige Banditen-WG sein, scherze ich. Shizo stellt empört klar: „Ich bin kein Bandit. Ich klaue nichts.“ So bietet er lieber Dani seinen Gunter an, denn von seiner Olga möchte er sich nicht trennen.


    Während die beiden verhandeln, entfache ich ein kleines Feuer in Solnichniy und brate etwas Hühnchen über dem Feuer, um es dann später ins Zelt des Auffanglagers zu legen. Außerdem durchsuche ich die Umgebung des Lagers nach weiteren Fallen, aber alles scheint unauffällig zu sein. Für einen Moment genieße ich die Stille, dann beschließe ich die beiden auch zur Vorsicht zu ermahnen und erwähne meine Begegnung mit der Stolperdrahtfalle. „Wie…?“, beginnt Shizo, „Hast aber nichts abbekommen oder was? Schwein gehabt! Ja, eine Granate braucht halt 3 Sekunden, um zu explodieren.“ Dani stimmt zu. „Ja, drum ist es gut, die taktisch zu platzieren, wie Henrik in Elektro im Hochhaus.“ Da kann man geteilter Meinung sein, aber in Bezug auf das Glück stimme ich Shizo zu. „Tja aber komisch. Wer bringt da sowas an? Das ist jetzt nicht die typische Gegend für Leute, die Handgranaten besitzen…“, murmelt Shizo nachdenklich. Ich stutze für einen Moment. Aber das kann nicht sein...! In meinem Verstand rattert es, aber vermutlich sehe ich Gespenster. Ich kann mir aber einen Kommentar nicht verkneifen und missmutig entgegne ich: „Tja, das ist eben die typische Gegend für Leute, die die Samariter mal wieder ein bisschen ärgern wollen.“ Ich vermute jemand hat meine Samariter-WG im Bau gesehen und gedacht, er stifte mal etwas Unruhe.


    Shizo erwähnt noch, dass es der Schatten gewesen sein könnte, aber das glaube ich nicht. Früher war er zwar an allem irgendwie Schuld, aber seit Henrik ihn erwischt hat, hat der Unbekannte seinen Schrecken verloren. Vielleicht waren es ja die Russen? Eine Handgranate der Liebe? Ich scherze etwas und Blue lacht. Nein, wenn man es genau nimmt, halte ich die Balzbubis nicht für hinterhältig genug. Allerdings gibt Dani zu bedenken, dass sie schon ordentlich zulegen in letzter Zeit. Jüngst hat er in Gvozdno an der Kirche eine Basis entdeckt, die brutal aufgesprengt worden ist. „Ich denk mal, dass die Russen Nomaden sind“, stellt er fest. „Ja“, bekräftige ich seine Theorie, „sie nehmen ja nichts mit, sondern räumen alles aus und lassen es nur liegen. So wie sie es bei Kevin und Max gemacht haben…“ „Ach, die wurden auch geraided?“, ist Dani erstaunt. „Ja, ja. Ihre erste Basis in Chernogorsk. Da haben sie auch alles ausgeräumt und überall verteilt. Richtig gemein...“, erkläre ich geknickt. Blue und ich haben gestern Abend noch alles aufgeräumt und das Loch, wo die Fremden eingedrungen sind, notdürftig geflickt. Ich hoffe nur, dass Max und Kevin rechtzeitig zurückkommen, um ihre beiden LKW zu sichern. Das ist schon eine fiese Bande, diese Russen… Wobei ich der Fairness halber sagen muss, dass ich nicht mit Sicherheit sagen kann, dass sie es auch tatsächlich gewesen sind. Aber sie haben Tabasko und der Gruppe mit den lilafarbenen Armbändern auf jeden Fall den Krieg erklärt. Sagen wir es diplomatisch: Der Verdacht liegt nahe. Während ich an der Samariter-WG weiterbaue, gehe ich meinen Gedanken nach.


    Es ist schon so, wie ich immer sage: Eine Basis muss gepflegt und verteidigt werden. Tja und am Ende hat man nur Arbeit damit. Möchte ich das wirklich riskieren? Komischerweise ist meine Antwort ein klares „Ja“. Momentan macht mir die körperliche Betätigung Spaß und sie bringt mich auf andere Gedanken. Die Anstrengung entspannt meinen aufgewühlten Geist etwas, auch wenn ich nach dem Zwischenfall vorhin nun doppelt vorsichtig bin.

  • 03.07.2023 – Nachtrag II

    Es wird nach und nach ruhig im Funkkanal, während wir alle unseren alltäglichen Aufgaben und Vorhaben nachgehen. Nach gefühlt dreißig Baumstämmen, die ich gefällt und zersägt habe, ziehe ich mich erschöpft in mein Haus zurück, um dort etwas auszuruhen. Da melden sich Henrik und Ravini. Henrik berichtet davon, dass die Russen wohl wieder sehr aktiv seien. Er habe eine Sprengfalle mit Sprengstoff vor seinem Tor in Elektrozavodsk gefunden. Natürlich berichte ich ihm auch gleich von meinen Erlebnissen in Solnichniy und über kurz oder lang sind wir alle schätzungsweise auf dem neusten Stand. „Ja Glück gehabt“, murmelt Henrik, „ich hab sie halt auch vorher noch gesehen. Sie lag direkt vor der Eingangstür.“ Unsere Freunde sind also irgendwo da draußen. Wobei ich noch immer innerlich Zweifel daran habe, ob die Minen wirklich ihr Machwerk waren. Etwas Komisches geht hier vor, ich weiß nur noch nicht, was es ist.


    Was das zweite Rätsel angeht: Auch Henrik und Ravini haben keine Vermutung darüber, wer der geheimnisvolle Schütze von gestern gewesen sein könnte, der unser Gefängnisinsel-Event sabotiert hat. Nach einer kurzen Rast baue ich weiter im Haus an den Wänden der Samariter-WG. So gut es geht fälle ich noch den einen oder anderen Baumstamm und errichte ein Tor, damit wir in der WG schön sicher sind. Zwei Wände sind bereits gezogen und ein inneres Tor, aber natürlich müssen auch die Fenster ordentlich abgedichtet werden. Ein Glück, dass ich bisher zahlreiche Nägel gefunden habe und so meine Arbeit in Ruhe fortsetzen kann. Unterdessen lausche ich den zunehmenden Funksprüchen der anderen. Ravini freut sich über seine kleine Alarmanlage aus Zombies: „Ist gut, dass die Zombies hier ab und zu am Haus vorbeischwirren. Das ist schonmal ein gutes Zeichen, wenn die ganz normal rumlaufen, dass da keiner in der Nähe ist.“ Henrik bestätigt das eifrig: „Guter Alarm, auf jeden Fall. So sehe ich das auch.“ Gedankenverloren baue ich weiter und murmle vor mich hin. „Wo baust du denn was, Herz?“, möchte Henrik neugierig wissen. „Jahaaa!“, flöte ich stolz, „Ich baue meine erste Basis!“ „Wahnsinn…“ kommt es etwas zu sarkastisch von Henrik. „Naja… was heißt Basis… ich baue mir ein Haus zu. Ein Samariter-Haus, mit Küche, Lager und viel Holz!“, erläutere ich ihm fröhlich. Nun tritt auch Ravini auf dem Plan: „Wo das denn?“ und sofort antworte ich ihm bereitwillig: „Na, in Solnichniy. Da, wo die böse Sprengfalle war.“


    In dem Augenblick merke ich, wie dumm das für sich genommen eigentlich ist. Henrik spricht es ungläubig auch gleich aus: „Was, da baust du?!“ Ich relativiere gutgläubig und weiß, wie albern das klingt. „Naja, also...“, beginne ich, „ich hatte das Haus schon angefangen zuzubauen, ehe ich die Sprengfalle entdeckt habe. Das möchte ich jetzt nicht aufgeben. Vermutlich wurden wir schon entdeckt, aber so ist das halt.“ Während ich weiterbaue, fange ich mir irgendwie einen Infekt ein und muss eine kurze Pause einlegen, da ich stark zu schwitzen anfange. Sofort behandele ich mich mit Medikamenten und zum Glück konnte ich die Infektion im Keim ersticken. Ravini hat einen Cowboyhut gefunden und scherzt noch etwas: „Den setz‘ ich mir jetzt auf und mach dann irgendwelchen Blödsinn und sag, der Tabasko war’s.“ Nette Idee, aber Wolfgang kontert nüchtern: „Na des wär ja nix B’sondres mehr.“ Recht hat er, Tabasko ist ja auch im Normalfall ein Meister des Unfugs. Wolfgang schlägt vor, dass er doch einen LKW auf den heiligen Manfred, also den Turm im Rohbau vor Prigorodki, fahren könne. Aber wir wissen alle, wie abwegig das ist. Trotzdem, der Gedanke ist schon irgendwie witzig.

    Charly meldet sich nun auch in der Gruppe und teilt uns mit, dass Max und Kevins Basis zwar geplündert worden ist, aber dass die beiden LKW noch da sind und die kleine Schatzkammer hinten nicht angerührt wurde. Er hatte gerade Kontakt zu Max. Vermutlich kamen die Eindringlinge dort nicht rein. Sehr gut! Also hat es doch etwas gebracht, dass Blue und ich gestern die Mauer notdürftig geflickt haben.

    Nun meldet sich nach langer Zeit auch Charel wieder und berichtet von ersten Fortschritten in Staroye. So langsam hat er den Dreh mit dem Überleben raus und das freut mich wirklich für ihn.

    Ravini bietet Lederhüte oder eine Tagesladung an Zucchinis im Austausch gegen eine Sturmweste und Epoxidharz. Außerdem berichtet er stolz davon, gestern jemanden vor seiner Basis mit einer Wasserflasche erledigt zu haben. Ungläubig möchte ich natürlich sofort alle Einzelheiten wissen. „Der hat davor noch zwei Überlebende plattgemacht“, beginnt er zu berichten, „und hatte das Maschinengewehr in der Hand. Ich dachte mir: Versuchst du es mal auf dem friedlichen Weg.“ Der Fremde gab jedoch keine Antwort und tanzte nur vor Ravinis Basis rum. Tja und Ravini tanzte mit der Wasserflasche seinerseits um ihn rum. Das muss ein Bild gewesen sein… jedenfalls wurde Ravini dann klar, dass jemand wohl im Busch versteckt sein müsste. Er erzählt weiter: „Ich kam dann drauf, dass er deswegen hier einen so auf Kasperfurz machte! So nach dem Motto – ich ziehe meine Waffe und der im Busch schießt mich dann über den Haufen.“ Allerdings scheint es wohl doch nicht so gewesen zu sein. Es stellte sich heraus, dass der Überlebende im Busch nur ein scheues Bambi war und von dem tanzenden Typen vor Ravinis Augen erschossen wurde. Ein paar Mal hat Ravini dann überlegt, den Fremden einfach zu erschießen, als dieser rund um seine Basis rannte und tänzelte. „Aber du weißt ja… ich bin innerlich schon so ein Samariter…“, gesteht er kleinlaut. Jedenfalls hat der Täter sich dann am Ende auf ein Auto gehievt und sich selbst erschossen. War wohl nichts mit der Wasserflasche, aber dass Ravini das überhaupt überlebt hat?! Wer das auch immer gewesen ist, er muss Ravini ziemlich vorgeführt haben, denn er hätten ihn ja problemlos erschießen können. Aber vermutlich wollte er sich nur einen Spaß erlauben. Das würde zu den Jungs passen, aber ob Charly oder Tabasko dahinterstecken?


    Dani fährt jedenfalls nun doch mit Shizos heißgeliebter Olga zur Basis und macht kurz bei Andy bzw. André Halt. Dieser hat eine Lagerhalle in Nadezhdino bezogen. Alles ist ruhig, da erwischt ihn eine Bärenfalle vor dem Tor. Wir wissen nicht wie, aber er schafft es, mit einem gebrochenen Fuß noch Auto zu fahren. „Weißt du, wer die dort platziert hat?“, schmunzelt Charly verschwörerisch. „Tabakso?“, fragt Shizo ungläubig, der sich ziemlich große Sorgen um sein Auto macht und sich nun wieder ins Gespräch eingeschaltet hat. „Ich“, kontert Charly gelassen und mit ein bisschen Stolz in seiner Stimme. „Boah… nein echt jetzt!?“, stöhnt Dani empört. Ich kann seinen Unmut verstehen. Shizo ist mehr besorgt um seine Olga, als um Danis Bein, doch das Auto ist am Ende in Sicherheit in deren Basis. Ich mache eine kurze Pause und Jahsan übernimmt das Baumstämme Hacken für mich. In der Nähe des Kieswerks fällt er gemütlich einen Baum, als ein Überlebender mit gelber Daunenjacke und rotem Motorradhelm an ihm vorbeiläuft. Ich bekomme per Funk mit, wie er noch versucht, Kontakt aufzunehmen, aber er wirkt sichtlich nervös. Er hadert und grübelt, ob er nicht gleich schießen solle. Hoffentlich dreht er nicht durch!


    Aber der Fremde formt zur Begrüßung ein Herz mit seinen beiden Händen. Alles in Ordnung! Das Nächste, was ich höre, sind Schüsse eines Maschinengewehrs. „JAHSAN!“, brülle ich, „Jahsan, antworte!“ Es folgt jedoch keine Reaktion. Ich ahne Schreckliches und schleiche mich vorsichtig zum Kieswerk. Alles ist ruhig, aber hinter einem Busch kann ich Jahsans grün-rote Uniform ausmachen. Da liegt er… vorsichtig versuche ich mich heranzuschleichen, aber ich komme zu spät. Mein Kamerad ist tot. Kaltblütig erschossen. Das hätte ich sein können. Der Fremde muss ihn erst in Sicherheit gewogen und ihn dann hinterhältig erschossen haben. Henrik zeigt zumindest etwas Mitgefühl im Kanal und Shizo erkundigt sich interessiert nach der genauen Stelle des Vorfalls sowie nach der verwendeten Waffe, aber ich habe natürlich keine Ahnung, was genau passiert ist. Es ist mir momentan auch egal. Eventuell wird Jahsans Helmkamera etwas aufgezeichnet haben, aber das bringt meinen Kameraden auch nicht wieder zurück. „Scheiße ey…“, gibt Henrik noch von sich. Das Einzige, was ich jetzt noch für ihn tun kann, ist seine Überreste unter erhöhter Vorsichtig zu vergraben.

  • 03.07.2023 – Nachtrag III

    Umgeben vom fröhlichen Gezwitscher der Vögel und dem romantischen Rauschen der Bäume erkunde ich erneut die Umgebung. Alles fühlt sich so falsch an. Es ist ruhig und friedlich, obwohl dies noch vor wenigen Minuten der Schauplatz einer Tragödie gewesen ist.


    Mit behutsamen Schritten nähere ich mich meinem gefallenen Kameraden. Die Sorge, selbst einem tödlichen Schuss zum Opfer zu fallen, begleitet mich mit jedem Schritt, doch der gefürchtete Angriff bleibt aus. Wolfgang, Shizo und Henrik sind sich sicher, dass der Täter erneut zuschlagen wird, was mich nicht sehr erbaut.


    Die Frage, ob ich auf einen Fremden schießen würde, wirft für mich ein moralisches Dilemma auf. Wolfgang löst es schnell für sich: „Alle Überlebenden sind schuldig!“, mahnt er mit tiefer Stimme und wiederholt sein Credo. Vielleicht hat er Recht?

    Als ich mich dem leblosen Körper nähere, breitet sich eine paradoxe Szenerie aus. Nach außen hin ist es hier ruhig und friedlich, aber inmitten des Waldes starre ich auf einen Teppich des Entsetzens. Der Täter war gründlich, äußerst gründlich. Er hat sein Opfer, meinen Freund und Kollegen, fachgerecht zerlegt, und ich unterdrücke nur mit viel Willenskraft einen Würgereiz. Ganz ruhig… einatmen, ausatmen.


    „Ist doch eigentlich ziemlich fair von ihm...“, kommentiert jemand aus der Gruppe. War das Shizo oder Henrik? Die Relativierung folgt sogleich: „…dann despawnen wenigstens die Sachen nicht.“ Die Diskussion über das "fair sein" angesichts eines brutalen Mordes verstört mich zwar, doch in Chernarus ist eine solche Überlegung für viele Alltag. Ich grübele.


    Das ist eine Eigenart von Chernarus und der rauen Welt, in der wir leben: Bist du tot, dann verschwindet dein Körper einfach nach einer gewissen Zeit, samt all deinem Hab und Gut. Alles ist dann unwiederbringlich verloren, sofern du es nicht innerhalb der Frist zurückschaffst. Wir nennen diesen Prozess des Verschwindens „despawnen“. Vielleicht ist das die Art und Weise, wie das große Universum hier in dieser Welt die Ordnung erhält. Wir haben uns daran gewöhnt. Jedenfalls verschwinden die Sachen langsamer, wenn die Leiche nicht mehr…intakt ist. Es ist grotesk, sich über solche Dinge Gedanken zu machen, aber so sehr es mir widerstrebt, eigentlich hat mein Gegenüber recht. Eigentlich. Denn wenn der Mörder wirklich hätte fair sein wollen, hätte er in erster Linie nicht heimtückisch agiert und nicht schießen brauchen. Zweitens hätte er Jahsans Sachen auch einfach auf den Boden werfen können. Dass das natürlich mehr Zeit beansprucht…geschenkt. Wer fair sein will, muss leiden. S’lässt sich leider nicht vermeiden…Abgesehen davon, hat der Täter bereits die meisten brauchbaren Dinge von Jahsan mitgenommen, was diese „nette“ und „faire“ Geste wieder total unnütz macht und mich erneut mit Zorn und Trauer füllt. Ich hasse es, wenn jemand auf den ersten Blick fadenscheinige Gründe vorschiebt, um sich mies benehmen zu können. Solche Doppelmoral nach dem Motto: „Ich hab doch nur…“ kann mir gestohlen bleiben. Aber meine Aufregung und Wut bringt keinen von uns weiter und möglicherweise wollte mich mein Gegenüber nur aufmuntern und das Positive angesichts der Tragödie aufzeigen. Jahsan bringt das alles nicht zurück. Frustriert beschließe ich, meinen Groll in etwas Sinnvolles zu verwandeln und beginne damit, Jahsans Sachen zu sichten und den grausamen Anblick zu beseitigen.


    „Also ich würde nur mal auf gut Glück durch die umliegenden Büsche gehen und so. Falls der das da hingeschmissen hat…“, beginnt Shizo mit freundschaflichtem Rat. Ich beschließe ihn zu beherzigen und mir die Umgebung genauer anzusehen, sobald ich hier Ordnung ins Chaos gebracht habe. Nach ein paar Blicken wird klar. Jahsans Waffe fehlt sowie sein Gürtel und …die Nägel! Der Frechdachs hat die Nägel mitgenommen! „Gut, das hätte ich wahrscheinlich auch gemacht“, spricht Henrik vermutlichen vielen aus der Seele. Sonst hatte Jahsan nicht viel Wertvolles dabei. „Am Ende war’s Whoomba“, grinst David verschwörerisch in die Runde, als dieser just in dem Moment unserem Funkkanal beitritt. Etwas mehr Einfühlungsvermögen seinerseits wäre schon nett gewesen, aber ich vermute mal, er möchte die Stimmung einfach etwas aufheitern. Nicht für eine Sekunde würde ich glauben, dass es Whoomba gewesen ist. Oder etwa doch? „Tja der kommt jetzt auch so verdächtig hier rein…“, spielen Shizo oder Henrik mit und ich lasse mich auch zu einem verschwörerischen „Ja, das könnte natürlich sein...“ hinreißen, das eine Spur zu euphorisch klingt. Aber ich bin mir nicht sicher, was ich wirklich denken soll. „Whoomba, die wandelnde Unschuldsvermutung“, beginnt Shizo anklagend. „Ja! Worum geht’s denn?“, fragt der Beschuldige zur Begrüßung. Ich erkläre ihm kurz die Lage und bin selbst überrascht, wie schnell ich innerlich Distanz zu dem Vorfall aufbauen konnte und wie sachlich ich ihm alles schildern kann. Wenn ich so darüber nachdenke, ist es schon komisch, dass er nichts weiter dazu sagt, aber gut, es ist eben unser Whoomba. Was erwarte ich? Beileidsbekundungen und aufmunternde Worte? Ich gehöre zu den Samaritern von Chernarus. Gefahr ist unser Geschäft… es wird Zeit, dass ich mich damit abfinde.


    Statt in der Vergangenheit zu verweilen, fragt Whoomba nach Neuigkeiten über die Balz-Bubis, aber noch gibt es nach wie vor nichts Konkretes. Während Shizo Dani weiter beim Bauen seiner Basis hilft, räume ich alles weg und wundere mich, dass Henrik sich noch genauer über die Waffe des Täters erkundigt. Vielleicht hat der Täter seine Waffe ja aus einer Polizeistation? So jedenfalls seine Vermutung. Am Ende ist es aber doch egal, woher die Waffe kam. Tot ist tot und Gelegenheiten gibt es viele. Ich bestatte Jahsans Überreste in seiner Uniform im Meer, gedenke meines Freundes und mache mich dann wieder an die Arbeit. Sorgfältig prüfe ich das Samariter-Haus, doch es ist noch unberührt. Hier wollte der Täter also nicht rein. Das nenne ich mal Glück im Unglück, denn ich hatte noch nicht alle Seiten gesichert. Dummerweise fehlen uns aber nun die Nägel. Das ist ein Problem, um das wir uns auf jeden Fall noch kümmern müssen.


    Henrik erklärt Whoomba, noch nebenbei, dass er seine Basis im Süden auf dem Hochhaus nun wieder allein bezogen hat, da ja Shizo und David ein gemeinsames Bauprojekt angehen. Ich beschließe, die Ruhe nach dem Sturm zu nutzen, um ein anderes Problem anzugehen und verabschiede mich vorerst von den Jungs.


    Ich kontaktiere Satsuki: „Hi. Hast du gestern Abend zufällig auf ein Auto bei Chernogorsk geschossen?“, frage ich unverblümt. Mein Gegenüber schweigt zunächst, ringt sich dann aber zu einem "möglich" durch. Diese halbgaren Antworten kann ich nicht ausstehen, als ob er abwiegen würde, wie gefährlich es sei, die Wahrheit zu sagen. Möglicherweise liegt es an dem Vorfall in Solnichniy vorhin oder ich habe generell einen schlechten Tag, aber ich bin sauer und lasse ihn das auch spüren. „Aha", entgegne ich trocken, „das war echt fies... wir hatten doch unser Event!" Ich kann ihn förmlich vor mir sehen, wie er den Überraschten mimt: „Oh... das habe ich nicht mitbekommen. Sorry". Eine billige Ausrede… wir haben alle in den letzten Wochen unaufhörlich über Tabaskos Event und die Vorbereitungen gesprochen. Ich kann mich erinnern, so ziemlich jeden dazu eingeladen zu haben. Außerdem waren so viele Autos voller Bambis unterwegs, da hätte er sich seinen Teil einfach denken müssen und ich bin mir fast schon sicher, dass er das auch getan hat und überhaupt verstehe ich nicht, weshalb ich nun wieder anfange, meine Wut zu rechtfertigen. Er hat Mist gebaut, wissentlich.


    „Aber sie haben mich ja erwischt", versucht er mich wieder zu beschwichtigen. Dummerweise lasse ich mich nun doch auf die Diskussion ein: „Ja, aber du hast mich erschossen… ein wehrloses kleines Bambi! Und ein Auto dabei geschrottet, das wir dringend fürs Event gebraucht hätten...", fahre ich fort, um ihm die Konsequenzen seiner Handlung deutlich zu machen. Aber warum? Er weiß das ohnehin und hat das mit voller Absicht gemacht, egal, was er nun sagt. Möglicherweise liegt es noch am Schock, aber ich kann mich leider gerade nicht so sehr in Rage reden, wie ich es gerne würde, obwohl ich deutliche Worte finde. Klar, wir kamen alle mehr oder weniger in der Nähe der Küste wieder an, aber diese Aktion hat uns wertvolle Zeit gekostet.


    „Hoppla… ich dachte, da wäre nur der Kühler kaputt. Ich werde nie wieder schießen...", versucht er nun mich abzuwiegeln. Als ob…! Klar… war ja alles nur Spaß und so. Das Bild von Max und Kevin taucht vor meinem inneren Auge auf. Ich habe es so satt der Spielball für andere zu sein!


    „Pff, als ob!", erwiderte ich ärgerlich, aber noch immer weniger wütend, als ich eigentlich sein sollte. Ich fasse mich wieder. „Du hast Blue und mich getötet. Einfach so! Und Shizos Auto ist Schrott. Überleg dir was, um das wieder gut zu machen!" Die Konfrontation endet damit, dass er kommentarlos den Funkkanal verlässt.


    Definitiv nicht meine Vorstellung von einem Spaß und einem klärenden Gespräch, aber nun habe ich wenigstens Gewissheit. Jetzt weiß ich jedenfalls, woran ich bei diesem Typen bin, und ich werde ihm nicht so schnell wieder vertrauen.


    Die Begegnung mit Satsuki wirft Fragen über mein Vertrauen in Menschen auf. Vertraue ich zu schnell? Diese Episode hinterlässt ein mulmiges Gefühl, doch ich versuche, meinen Ärger in die Arbeit am Samariter-Haus zu kanalisieren. Jedenfalls gibt es einen kleinen Lichtblick: Die WG in Solnichniy wächst, und ich kann einige Kisten mit Essen beisteuern. Ein kleiner Trost inmitten der Herausforderungen von Chernarus. Blue, Hikaru, Jammet und Kanu werden sich sicher darüber freuen.

  • 03.07.2023 – Nachtrag IV

    Tja und am Ende des ganzen Tages passiert es schließlich nun doch.


    Eigentlich hatte ich es nie vor, aber während ich so durch Solnichniy streife und im Industriegebiet vorbeikomme, lächelt mich plötzlich ohne Vorwarnung ein fahrbereiter, beigefarbener LKW an. Zunächst kann ich meinen Fund kaum glauben und kontrolliere den Sitz. Doch… man kann tatsächlich einsteigen. Ich prüfe, überwältigt von dem Anblick, die Reifen. Es sind insgesamt vier montiert, zwei Doppelreifen fehlen demnach noch. Sonst ist aber alles dran und der Stauraum ist leer. Nichts deutet darauf hin, dass das Fahrzeug von einem anderen Überlebenden hier platziert worden ist. Was also tun? In meinem Kopf entstehen Bilder von einem fahrenden Bambi-Versorgungsmobil. Man könnte mit solch einem Gefährt mühelos die Küste abfahren und die Lager dort auffüllen. Welch ein Gedanke!


    Nur gibt es ein Problem: Meine Freunde sind gerade nicht da. Tja und Dani, Henrik und Shizo sind zwar noch im Funkkanal, aber mit ihren Basen beschäftigt. Von ihnen würde ich keinen extra nach Solnichniy bemühen, nur um den LKW für uns wegzufahren. Es hilft nichts.


    Ich fasse eine folgenreiche Entscheidung: Ich werde das Ding fahren. Entschlossen steige ich in das Gefährt ein und starte den Motor. Ein kribbelndes Gefühl macht sich breit, als ich das starke Aufheulen des Motors höre. Tja.. und nun? Ich erinnere mich daran, dass Kanu unserer lieben Hikaru bei ihrer Fahrstunde das Schalten erklärt hat. In einem früheren Leben, vor der Katastrophe, konnte ich ganz passabel Autofahren. Aber einen LKW…? Dennoch versuche ich es, lege den ersten Gang ein und gebe leicht Gas. Das Fahrzeug macht einen Satz und fährt los. Vor Schreck lasse ich das Gaspedal los, der Lastwagen kommt zum Stehen. Mein Herz rast. Er fährt… der LKW fährt! Ich beruhige mich etwas und gebe erneut Gas. Mit Gefühl. Nun bewegt sich das Fahrzeug ruhig aber hoppelnd vorwärts. Das Lenken ist allerdings eine Katastrophe und beinahe krache ich an den Pfosten eines Industriegebäudes.


    Ich steige aus und schaue mir den LKW an. Da fällt mir auf, dass die vier Reifen ungleichmäßig angebracht worden sind. Mühevoll montiere ich sie ab und befestige auf jeder Seite zwei Reifen. Nun geht es mit dem Lenken wesentlich besser und ich setze meine Reise fort. Leider komme ich viel zu schnell an einem Grashügel zum Stehen. Das Vorderrad steckt fest und auch ein erneutes Ab- und Anmontieren hilft nicht.


    Zum Glück fällt mir ein, was Tabasko und Charly in solchen Situationen immer tun. Lagerfeuer wirken wohl Wunder. Im Funkkanal weist mich Henrik (oder ist es Shizo?) an, den Reifen damit zu befreien. Ich sehe meine Felle schon davon schwimmen, wage aber mehrere Versuche. Tatsächlich: Mithilfe des Lagerfeuers kann ich den Reifen so erhöhen, dass der LKW seine Reise fortsetzen kann. Weiter geht es durch Solnichniy. Unterwegs finde ich leider an den Wracks keinen brauchbaren LKW-Reifen, aber am Ende komme ich an der Tankstelle zum Stehen. Mein Kleiner hat Durst und so fülle ich den Tank behutsam mit Bezin auf. Einen Kochtopf nach dem anderen schluckt er und ich staune, wie durstig mein neuer Freund ist. Liebevoll tätschele ich die Abdeckplane. Glücklicherweise ereignet sich kein erneuter Angriff und als es bereits dunkel wird, kann nach einiger Zeit meinen Weg fortsetzen.


    Tja nur wohin? Ich beschließe, mit 20-30 km/h an der Küstenstraße entlangzufahren. Schneller geht es mit den vier Reifen leider nicht. Am Ende fahre ich unser Samariterlager in Nizhnoye an und da ich leider nicht in die große Scheune dort passe, baue ich kurzerhand ein Tor an unserem Depot um und parke den LKW dahinter. Somit ist er zwar nicht diebstahlsicher, aber zumindest etwas geschützt. Die wichtigsten Teile montiere ich ab und lege mich im alten Hexenhaus mit Blick auf die Küste schlafen.


    Was für ein Tag! Habe ich das eben wirklich gemacht? Bin ich wirklich gefahren? Zum ersten Mal! Das hätte ich mir nie zugetraut, aber nun bin ich überglücklich. Glücklich über meinen Fund, glücklich, dass ich ihn trotz der fehlenden Reifen sicher hierher gebracht habe und vor allem glücklich, dass ich nun mobiler bin. Die Wut des Nachmittags ist verflogen.

    Die Küste wartet und die anderen werden staunen!

  • 04.07.2023 - Sticheleien

    Mein Tag beginnt mit einem energiegeladenen Sprint vom Hexenhaus in Nizhnoye zum Brunnen und von dort zum LKW. Der Lastwagen steht immer noch hinter dem Tor, das ich gestern Abend schnell platziert habe. Allerdings besteht es bisher nur aus dem Rahmen und einer unteren Wand. Es ist an der Zeit, das Ganze etwas auszubauen. Mit Axt, Säge, Hammer und Nägeln bewaffnet, mache ich mich an die Arbeit. Während ich Bäume fälle und meinen Aufgaben nachgehe, meldet sich Charel und fragt nach den Balzbubis. Von ihnen gibt es noch keine neuen Hinweise, also informiere ich ihn kurz über die Ereignisse des gestrigen Tages, insbesondere über die Sprengfalle am Lager. Er bedankt sich und überlegt, ob er sich einer Gruppe anschließen möchte, ist jedoch noch unschlüssig und zieht vorerst allein los. Sein Interesse am Basenbau ist geweckt, was mich nicht überrascht.


    Nachdem ich mein Werk vollendet und das Tor fertiggestellt habe, mache ich mich auf den Weg zurück nach Solnichniy. Es regnet in Strömen, und ich bin froh, als ich völlig durchnässt in der Samariter-WG ankomme. Zwar ist es noch keine richtige WG, da Hikaru und Blue noch einziehen müssen, aber die Tore stehen bereits, und ein paar Dosen, die ich auf dem Weg gefunden habe, ergänzen die Vorratskiste in der Küche perfekt. Während ich die Klinik nach Brauchbarem durchsuche, fällt mir eine weiße Fahne in einem der Unterstände auf. Verwirrt sehe ich zum Fahnenmast hinauf – er ist leer. Offenbar hat jemand die Fahne abgenommen und im Unterstand versteckt. Warum jemand so etwas tun würde, ist mir ein Rätsel.


    Ich ziehe die Fahne wieder hoch. Warum?! Einfach nur: „Warum?“ Das ergibt doch keinen Sinn. Wer handelt denn nach dem Motto: „Haha! Ich nehme jetzt eure Fahne ab und stecke sie in den Unterstand! Ich bin ja so fies…“ Ich begreife es nicht. „Leute gibt’s!“, sage ich frustriert und genervt mehr zu mir selbst, als zu meinem Gesprächspartner, Charel. Ich überlege eine kurz. Hat Tabakso etwa…? Wie auf’s Stichwort höre ich Tabaskos Stimme über Funk: „Grüße!“ Das ist jetzt echt nicht war… Nach einem kurzen Gespräch, das auch den Verbleib der Balzbubis betrifft, verwerfe ich meinen Verdacht wieder. Tabasko weiß zwar allerlei Unfug zu treiben, aber irgendwie habe ich nicht das Gefühl, dass das einer seiner Streiche war. Um das Thema zu wechseln, berichte ich ihm stolz von meinem gestrigen Fund und meinen ersten Fahrversuchen. „Na jetzt wird’s lächerlich!“, gibt er ungläubig von sich. Ich bin irritiert. „Na, du fährst doch kein Auto! Du weigerst dich doch immer!“, erklärt er sich. „Tja… siehst du? Und gestern hätte unser Samariter Jahsan fast einen anderen Überlebenden erschossen. Das wäre dann unser erster gewesen… schade, dass er es nicht getan hat..“, gebe ich etwas gedrückt wieder und bin fast schon schockiert über meine eigenen Worte. „Und zählt Blue nicht?“, gibt Tabasko etwas gespielt empört zurück. Touché. Er weiß genau, wo meine wunden Punkte liegen, aber aus dem spaßigen Ärgern wurde nun viel zu schnell Ernst. Dabei hatten die Jungs mir die Idee mit der „Erziehungs-Vaiga“ doch erst aufgeschwatzt… Ich schlucke. „Nein. Blue zählt nicht“, gebe ich trocken zurück. Das habe ich hinter mir gelassen. Es war ein bedauerlicher Unfall mit schweren Folgen, aber kein kaltblütiger Mord. Egal, was die anderen sagen…



    Unser Gespräch wird unterbrochen, als Tabasko Schüsse bei Lopatino meldet. Verrückt, wie er ist, rast er direkt in die Richtung, aus der die Geräusche kamen. Ich wünsche ihm alles Gute und hoffe, dass er sicher zurückkehrt. Shizo und Durog stoßen ebenfalls zu uns, und es tut gut, von ihnen zu hören.


    Shizo gesellt sich auch zu uns, weiß aber von keinen Schüssen und scheint sich an einem anderen Ort aufzuhalten. Ein paar Minuten später meldet sich auch Durog, der Einzelgänger, bei uns. Er versichert Tabasko, dass er gerade nicht im Norden geschossen habe. Ich freue mich mal wieder von unserem ihm zu hören. Irgendwie ist er „der Schatten“, nur in gut. Ich meine, die Nummer mit dem Gentlemen-Raid war schon extrem nett von ihm. Wobei… „Raid“ trifft es ja nicht ganz. Wie es sich herausstellte, ist er ja in gar keine Basis eingebrochen, sondern kam nur zufällig vorbei und das glaube ich ihm auch auf‘s Wort. Sowas wie mit Durog, sowas habe ich noch nie erlebt. Also dass jemand eine aufgebrochene Basis findet, überall den verstreuten Loot sieht und dann extra Unterstände baut und alles dort einlagert, damit da Zeug nicht verschwindet… Meinen Respekt und vor allem Dank, denn es war ja unser Zeug, das er da unwissentlich gesichert hat! Shizo meint scherzhaft, dass doch Whoomba eigentlich der Unschuldige sei. Aber nein, das stimmt so nicht. Schließlich hat er mein Tagebuch geklaut und sich selbst als Unschuldigen inszeniert! Das ist nicht wirklich „unschuldig“. Durog bietet uns jedenfalls eine Zufluchtsstätte an, falls jemand etwas benötigt und ich danke ihm für sein freundliches Angebot. Tabaskos Erkundungstour endet mit einem toten Überlebenden in Vavilovo, der aus einer Tür gerannt kam und die Waffe auf Tabasko gerichtet hatte. Das war dann wohl sein Todesurteil. Irgendwie trifft mich das Schicksal des Fremden, aber was kann ich schon tun an dieser Stelle? Ich hätte bestimmt erst versucht zu reden, wobei wie schief das gehen kann, hat man gestern ja deutlich gesehen. Verdammt… ich wollte nicht mehr daran denken.


    Nach etwas Small-Talk meldet Blue sich bei uns und ich auch ihn über die Dinge ins Bild, die so in letzter Zeit passiert sind. Wir tauschen uns noch etwas über die fragwürdigen Raid-Methoden der Balzbubis aus und ich echauffiere mich über das Verhalten des Heißsporns von neulich, über scheinheilige Überlebende, bis hin zu Sprengfallen, die in Bambi-Auffanglagern heimtückisch platziert werden. Hier im geschützten Raum tut es gut, seinem Frust freien Lauf zu lassen. Shizo flüstert in mein Ohr „Tööööteeeen! Töööteeeen!“, von wegen ich solle doch zur dunklen Seite wechseln. Ich verwerfe den Gedanken wieder, aber ich gebe zu, es wird zunehmend schwer für meine uneigennützige Haltung in dieser Welt noch einen Rechtfertigungsgrund zu finden.


    (Notiz aus der Zukunft: Ich konnte damals wirklich nicht ahnen, welche Folgen dieses Gespräch und überhaupt diese Episode noch haben würde. Hätte ich nur geahnt, was sich da im Dunkeln hinter unseren Rücken zusammengebraut hat…)



    Schließlich hat Tabasko noch Schwierigkeiten mit einem seiner Autos, aber er bekommt es wieder auf die Straße. Blue macht mir mehr Sorgen, als er allein nach Chernogorsk zum Militärgebiet läuft und dabei eine Gaszone übersieht. Zum Glück merkt er schnell, dass etwas nicht stimmt, und rennt aus der Zone heraus. Auch das Verbinden seiner Schnittwunden ist kein Problem, aber Chernarus hält noch einige Gefahren für ihn bereit, und ich bin leider nicht vor Ort, um ihm zu helfen. Zur Untätigkeit in Solnichniy verdammt, baue ich weiter weiter an der Samariter-WG und werde abends von Kanu und Jammet im roten Gunter abgeholt. Die Jungs sind überrascht zu hören, dass ich nun auch fahren kann und einen LKW gesichert habe, aber sie freuen sich über meinen Erfolg. Gemeinsam fahren wir nach Berezino, um dort am Camp nach dem Rechten zu sehen. Ein großer Turm versperrt die Straße zum Krankenhaus, den Koira dort gebaut hat. Es ist ja schön, dass er Fortschritte gemacht hat, aber irgendwie ist der Turm doch recht… protzig. Naja.


    Am Ende füllen wir noch die Vorräte auf, und ich zeige den beiden die Samariter-WG in Solnichniy. Jammet ist nicht so der Freund von Basen, aber ich denke, er weiß zu schätzen, dass wir nun ein großes Lager haben, wo wir unsere Kleidung und Vorräte aufbewahren können. Wir werden sehen, wie lange die WG halten wird...


    Das war wieder ein ereignisreicher Tag in Chernarus, und ich kann nur hoffen, dass es auch morgen keine neuen Nachrichten von den Balzbubis geben wird. Keine Nachrichten sind in diesem Fall gute Nachrichten.

  • 05.07.2023 – Von Vanilleeis und Schutzengeln


    Ein neuer Tag bricht an, und der LKW steht unverändert an seinem Platz in Nizhnoye. Unser kleines Lager ist nach wie vor sicher verschlossen. Wolfgang grüßt mich, als ich mit den anderen Kontakt aufnehmen will.

    Er berichtet von "Manfred", dem auf dem Rohbau befindlichen Turm bei Prigorodki, der nun schon sechs Stockwerke umfasst. Das Ding wächst, und ich habe das dumpfe Gefühl, dass die Jungs so schnell nicht aufhören werden. Kein gutes Zeichen, denn "Manfred" hatte schon einmal eine äußerst negative Wirkung auf die Gemütslagen der Leute in und um das Bambi-Lager. Aber hier in Nizhnoye ist vorerst Ruhe. Zeit für einen Tapetenwechsel.


    Notdürftig packe ich das Wichtigste zusammen, stecke ein paar Dosen in meinen Rucksack und schleiche den Waldweg entlang Richtung Solnichniy. Ein komisches Gefühl überkommt mich, während ich durch den dichten Mischwald streife. Die Erinnerung an den Überfall auf Jahsan sitzt mir noch in den Knochen, aber zum Glück passiert nichts, und ich versuche, mich auf die positiven Dinge zu konzentrieren. Als ich am Lager in Solnichniy ankomme, fühle ich Erleichterung. Die Zelte und Unterstände sind erstaunlicherweise noch intakt. In Gedanken versunken räume ich meine Vorräte ein, sortiere die Kleidung.

    Blue, Charly, Max und Wolfgang plaudern zwischendurch, und es entspinnt sich eine Diskussion über Vanilleeis und die Frage, ob man Schokostreusel darüber streuen sollte oder nicht, welches Vanilleeis nun am besten schmeckt, und ähnliche Dinge. Es ist witzig, denn seit Jahren hat keiner von uns auch nur irgendeine Sorte Eis gegessen. Wie denn auch in der Apokalypse? Dafür kennen wir uns mit den zahllosen Geschmacksvariationen von rohen, gekochten, gegrillten, gebackenen und geräucherten Kürbissen bestens aus.


    Ich kann mir nicht helfen, aber ich glaube, den Jungs ist langweilig. So sehr ich die Ruhe hier auch genieße, so sehr juckt es ihnen in den Fingern. Diese Schein-Diskussionen sind vermutlich auch ein Mittel, um nicht den Verstand zu verlieren und sich an die guten alten Zeiten zu erinnern. Doch ein Wehmutstropfen trübt das Bild. Wolfgang erwähnt beiläufig, dass Hendrik sich möglicherweise aus unserer kleinen eingeschworenen Gemeinschaft zurückzieht. Er hatte sich zuvor gemeldet, war aber nicht so redselig wie sonst. Etwas scheint ihn zu beschäftigen. Warum genau und was passiert ist, das habe ich nicht verstanden. Vielleicht mag er sein Vanilleeis einfach anders, oder er steht nicht so auf Kürbisse?


    Doch bevor ich darüber nachdenken kann, unterbricht Blue die Diskussion und berichtet von einer Schießerei in Chernogorsk. Er war dorthin unterwegs und ist den Geräuschen einiger Schüsse gefolgt, um die Sache zu untersuchen. Überlebende hat er keine gefunden, aber auf der Höhe der Brücke jede Menge Loot entdeckt. Vermutlich ist dort jemand der Schießerei zum Opfer gefallen, und der Täter hielt es nicht für nötig, alles mitzunehmen. Ich danke Blues Schutzengeln, dass ihm nichts passiert ist! Das hätte böse enden können. Aber nun hat er das mitgenommen, was der Täter nicht gebrauchen konnte, und ist nun wieder auf dem Weg nach Prigorodki, um es dort in den Zelten zu verstauen. Unterwegs versucht er ein Wildschwein zu erlegen, um das Lager mit Fleisch zu versorgen. Ich ermahne ihn, weiterhin vorsichtig zu sein. Zum Glück ist er nicht allein, und Wolfgang hat ein wachsames Auge auf ihn.


    Prigorodki. Irgendetwas zieht mich immer wieder dorthin. So sehr ich meine Ruhe hier auch schätze, es wird höchste Zeit, dass auch ich wieder einmal dort „unten“ vorbeischaue.

    Meine Planung wird unterbrochen, als ich Alexejs Stimme vernehme, der fragt, ob es wieder Alarm gegeben habe. Bis jetzt haben wir nichts weiter von den Balzbubis gehört,a lso ist meine Antwort erst einmal ein Nein. Doch dafür meldet sich ein anderer alter Bekannter zurück: Custer! Überschwänglich begrüße ich ihn. Es ist zwar gerade mal fünf Tage her, seit dem Vorfall am Camp, als ihn die Balzbubis kaltblütig erschossen haben, aber man verliert hier irgendwie das Zeitgefühl und wenn man mal ein paar Tage nichts voneinander hört, macht man sich schon so seine Sorgen. Zum Glück ist er wohl auf und bereit, sich ins Getümmel zu stürzen.


    Max und Kevin brechen ebenfalls auf in Richtung Chernogorsk, um nach ihrer Basis zu sehen, benötigen aber noch einige Zeit für die Reise. Ich hoffe, der Anblick der aufgebrochenen Basis nimmt die beiden nicht zu sehr mit. Blue und ich haben uns ja noch um Schadensbegrenzung bemüht, aber die Balzbubis haben bei der Basis wirklich ganze Arbeit geleistet. Schließlich gesellt sich auch Mr. Green zu uns und lauscht zwischenzeitlich unserem Stimmengewirr.


    Ich habe einen Entschluss gefasst: Ich werde noch einen Fahnenmast in Nizhnoye bauen und die Samariter WG vollenden, dann mache ich mich auf den Weg nach Hause, nach Prigorodki. Zunächst treffe ich mich mit Wolfgang in Nizhnoye, damit unser Bauprojekt starten kann. Wir beschließen, die weiße Fahne auf dem kleinen Lager zu errichten, und legen den Grundstein. Doch dafür müssen wir noch einmal zurück nach Solnichniy, um Material zu holen. Gemeinsam machen wir uns auf den Weg und stoßen dort am Brunnen auf Custer, der es nach einigen Anlaufschwierigkeiten auch nach Solnichniy geschafft hat. Wir statten den Armen erst einmal mit dem Nötigsten aus, bevor er seinen Weg fortsetzt. Ich räume noch ein paar Kürbisse in die Zelte, schnappe mir einen Doppelreifen für den LKW und mache mich langsam auf den Rückweg Richtung Nizhnoye. Der Weg zieht sich endlos, aber zum Glück komme ich heil an und kann dem LKW nun einen weiteren Reifen spendieren.


    "Verdammt, ich werde beschossen!", meldet Blue plötzlich. "Wo?!", frage ich schockiert, mein Herz setzt für einen Moment aus. "Prigorodki, am Lager!", ruft er. Ausgerechnet jetzt sind Charly, Tabasko und die anderen nicht in der Nähe. Ich beiße mir auf die Lippe. Zum Glück kann sich Blue hinter einen Heuballen zurückziehen, aber seine Jacke ist ruiniert. Von den Äußerungen her müsste der Schütze vom „Mount Wolfgang“ aus schießen. Max und Kevin sind bereits unterwegs. Zum Glück! Die beiden geben Blue Feuerschutz, und so kann er zumindest seine Wunden versorgen. Gemeinsam versuchen sie, den Schützen zu erwischen, und tatsächlich muss er auch einen Treffer einstecken, aber dann fehlt jede Spur, und es wird wieder ruhig im Lager. Und ich pendle noch immer zwischen Nizhnoye und Solnichniy und trage einen weiteren LKW-Reifen durch die Dunkelheit. Mehr kann ich leider nicht tun, aber zum Glück haben Blues Schutzengel heute Überstunden gemacht.

  • 06.07.2023 –Experimente


    Die letzte Nacht war ungewöhnlich dunkel, und der heutige Morgen wirkt merkwürdig. Keine Wolke am Himmel, die Sonne brennt bereits unerbittlich vom Himmel. Die Hitze ist drückend. Es ist Sommer in Chernarus, aber etwas ist anders, aber ich kann nicht genau benennen, was es ist. Aber mir wird klar, dass wir bei dieser enormen Hitze unser Kleidungsangebot von Jägerkleidung auf leichtere Kleidung umstellen sollten, sonst sterben die hilflosen Bambis womöglich noch den Hitzetod. Kein schöner Gedanke.


    Ich strecke mich und mein Körper schmerzt noch von den gestrigen Strapazen, aber der LKW ist nun mit allen nötigen Reifen bestückt und steht nach wie vor sicher bei unserem Lager. Als ich meine Wand und mein Tor kontrolliere, fällt mir auf, dass es eine Änderung gibt: Die Wand ist von außen nicht zu beschädigen. Nicht, dass ich das hätte tun wollen, aber die Holzwände wirken auf einmal ungewöhnlich stabil und widerstandsfähig. In diesem Moment meldet sich Blue bei mir. Auch er hat bemerkt, dass die Ordnung, die die Welt im Innersten zusammenhält, quasi über Nacht verändert wurde. Das klingt schwer vorstellbar, denn normalerweise gibt es solche tiefgreifenden Änderungen nur nach einem Wipe, aber nun ist es so. Die Wände verhalten sich, als würde eine unsichtbare Mauer oder ein Kraftfeld sie umgeben. Ich habe bereits bei meinen Streifzügen beobachtet, dass dies im anderen Chernarus oder auf der Insel namens DeerIsle ebenfalls der Fall ist, aber hier bei uns ist das neu. Basenwände lassen sich nun also nur noch von innen abbauen. Man benötigt also den entsprechenden Code, falls man keinen Baufehler ausnutzen kann, um ins Innere zu gelangen. Das wird vermutlich den kompletten Basenbau revolutionieren. Sicherlich freut es Leute wie unseren Ravini, aber andere wie Charly und seine Jungs oder gar die Balzbubis, die im Aufbrechen von Basen einen besonderen Reiz gefunden haben, sehen sich nun einer Art Lebensaufgabe beraubt.

    Versteht mich nicht falsch, ich bin prinzipiell gegen das Aufbrechen und Ausrauben, also das "Raiden" von Basen, aber ich weiß, wie viel diese Praktik den anderen bedeutet, und schließlich ist dies hier die Apokalypse. Manchmal fühlt es sich an, als befänden wir uns in einem riesigen sozialen Experiment. Und nun hat ein großer, anonymer Versuchsleiter eine Variable verändert, um zu sehen, wie die kleinen Mäuschen oder Ratten sich verhalten. Wie werden diese Folgen aussehen? Ich ahne nichts Gutes, aber ich beschließe wie immer, das Beste aus der Situation zu machen, und begebe mich auf den Weg nach Solnichniy, um dort nach dem Rechten zu sehen.


    Das Lager ist so, wie ich es gestern verlassen habe, und da es bis auf das Anpflanzen von Kürbissen nicht viel zu tun gibt, stelle ich aus ein paar Brettern und Nägeln neue Kisten für die Samariter-WG her. Wenn dieses neue Lager nun sicher ist, dann lohnt sich der Aufwand ja auf einmal. Vermutlich werden viele so denken und den Traum vom Eigenheim ausleben.

    Charlys Stimme lässt mich aufhorchen. Wie erwartet ist er kein Fan dieser Veränderung in der Matrix. Er überlegt, ob er seine Basis-Zugangs-Codes den anderen Leuten zur Verfügung stellen soll, denn immerhin ist sie jetzt mit Abstand vermutlich die sicherste Basis in ganz Chernarus.


    Andy, auch bekannt als André, nutzt ebenfalls die Gelegenheit und fragt mich, ob ich mit Max und Kevin in Verbindung treten könnte. Dani hätte ihm gesagt, dass sie nun weitergezogen seien, und er selbst hätte Interesse an einem ihrer LKW. Eigentlich ein logischer Gedanke, denn die Balzbubis hatten ja Max und Kevins Basis aufgebrochen. Erst gestern haben die beiden die Unglücksstelle gesichtet. Zwei LKW waren wohl noch übrig. Allerdings überrascht mich nun die Aussage, dass die beiden nun weitergezogen seien. Hendrik scheint schon eine neue Bleibe in Namalsk gesucht zu haben und vermutlich folgt Shizo ihm auch dorthin. Aber Max und Kevin? So ganz ohne Adieu und ohne eine Erklärung? Vielleicht hängt es mit den Änderungen zusammen? Ich versuche auf jeden Fall mein Bestes sie zu erreichen, denn ich möchte ja auch wissen, was mit den beiden ist, und falls es sie nun wirklich nach Namalsk oder Banov gezogen hat, dann haben sie sicherlich nichts dagegen, wenn jemand ihren LKW sinnvoll gebrauchen kann.

    Ich hoffe, ich kann sie noch irgendwie erreichen, und trotz der Streiche der beiden hoffe ich wirklich, dass sie uns noch eine Weile erhalten bleiben. Den ganzen Tag warte ich vergebens auf ein Lebenszeichen. Vielleicht wird der morgige Tag die erhoffte Klärung bringen.

  • 07.07.2023 – The Circle of Loot

    Ein neuer Tag bricht an, und das "Experiment" mit den sicheren Basen scheint noch immer in vollem Gange zu sein. Über meinen Empfänger verfolge ich, wie Ravini, Alexej der Chernarusse, Mr. Green, s-tlk und Jammet lebhaft und teils metaphorisch über die aktuellen Veränderungen und deren Bedeutung diskutieren. Schweigend lausche ich ihren Worten und Argumenten, während ich auf eine Nachricht von Max und Kevin warte. Jammet wirkt heute ungewöhnlich nachdenklich und betont, dass er zwar kein Freund des Raidens von Basen ist, die Zerstörbarkeit aber stets ein gewisses Gleichgewicht geschaffen habe. Man konnte nie sicher sein, dass das Eigene am nächsten Tag noch da war, doch man hat gelernt, damit zu leben. Dies verhinderte auch, dass einzelne Kräfte alles horteten und andere leer ausgingen. Ich ahne, was er meint: In dieser Welt von Einzelgängern, Gruppen, Basen und Ressourcen herrscht ein empfindliches Gleichgewicht. Fast wie der ewige Kreislauf des Loots. The Circle of Loot. Dieses Gleichgewicht scheint nun zu wanken. Die Überlebenden sammeln den Loot. Andere klauen den Loot und werden selbst beraubt. Am Ende landen wir alle an der Küste mit nicht mehr, als wir am Leib tragen. Somit sind wir alle gleich und für keinen ist die Welt sicherer als für einen anderen. Ganz schön philosophisch am frühen Morgen…


    Mr. Green erzählt von anderen Orten, wo Brunnen plötzlich versperrt wurden und Schlösser an fast allen Garagen hingen. Ein Schauder durchfährt mich. Das darf doch nicht das Schicksal unserer Heimat sein, oder? Ich bezweifle, dass jemand hier so handeln würde und anderen wichtige Punkte wie einen Brunnen vorenthält. Im anderen Chernarus gibt es Fragen, doch dort wird das Gleichgewicht auf andere Weise aufrechterhalten: Weniger Ressourcen bedeuten weniger Basen. Auch dort herrscht ein sensibles Gleichgewicht, und die Mächte, die darüber wachen, nehmen ihre Aufgabe ernst. Vielleicht hatte die höhere Macht, die über unsere Welt wacht, einen Plan dabei? Charly und Tabasko würden sicherlich mit ihrer "heiligen" Manfred-Theorie um die Ecke kommen, aber das ist nichts für mich. Letztlich liegt es an uns, wie wir mit dieser neuen Situation umgehen.


    Ich beschließe, mich noch etwas um das Lager zu kümmern und auch sonst verläuft der Tag erstaunlich ruhig.

  • 08.07.2023 – Magie

    Immer noch keine Nachrichten von Kevin und Max.Der Tag beginnt mit einem Besuch in Solnichniy, wo ich nach Materialien für die Samariter-WG suche. In einer verlassenen Baracke finde ich ein Tarnnetz, das ich gleich über mein kleines Iglu-Zelt beim Steinbruch spanne. Darin bewahre ich stets Ersatzkleidung auf und so ist es nun gut versteckt. Auf dem Rückweg zum Lager komme ich an einem geräumigen Backsteinhaus mit zahlreichen Zimmern vorbei. „Ein idealer Ort für eine weitere WG“, denke ich. Das Verlangen nach einem sicheren Rückzugsort wächst in mir, jedoch bleiben meine Bedenken bestehen. Die Idee einer neuen WG bleibt vorerst nur ein Gedankenspiel, denn am Lager angekommen erwartet mich eine unerwartete Überraschung: Unsere weiße Fahne wurde durch eine andere ersetzt. Wer könnte so etwas tun? Tabasko bestreitet jede Beteiligung, während Dani mit einem schelmischen Grinsen reagiert. Ich vermute, er steckt dahinter. Glücklicherweise finde ich unsere alte Fahne im Unterstand und stelle den Ursprungszustand wieder her. Offenbar haben die Jungs einfach zu viel Zeit, denn die Zeiten sind ruhig. Die Kleidung und Rucksäcke sind unberührt im Autozelt, was darauf hindeutet, dass niemand in den letzten Tagen etwas entnommen hat. Lediglich das Essenzelt braucht Nachschub. Daher verbringe ich den Großteil des Tages mit Feldarbeit und Angeln.

    Am Nachmittag erlebe ich jedoch eine seltsame Begegnung. Ich habe beschlossen, den LKW von Nizhnoye nach Solnichniy zum Tanken zu fahren, da beginnt er plötzlich heftig zu wackeln und scheint fast abzuheben. Mein Herz rast, als ich abrupt bremse. Als das Fahrzeug sich beruhigt, steht es wieder unbeweglich da. Der Vorfall erinnert mich an Geschichten von Tabasko und Charly, die solche Phänomene als "Harry Potter-Auto" bezeichnen. Etwas Unheimliches geht hier vor sich. Ganz vorsichtig setze ich meinen Weg fort und fahre zurück nach Nizhnoye. Erst, als er wieder sicher hinter seinem Tor steht, kehre ich zu Fuß nach Solnichniy zurück.

    Abends fülle ich weitere Kisten in der Samariter WG mit Konserven und Wasser. Ich freue mich darauf, den Fortschritt den anderen zu präsentieren. Ich hätte nie gedacht, dass der Bau eines eigenen Zuhauses so erfüllend sein könnte. Früher schienen mir eigene Behausungen nur hinderlich, doch mit meinen zwei Toren zur Samariter WG kann ich mich anfreunden. Erschöpft lege ich mich abends in mein Bett und träume von schwebenden Autos und neuen Projekten wie einer weiteren WG oder einem Autoteilehandel in Solnichniy.