Verlassen... [Revival]

  • Vielleicht kann sich der ein oder andere alte Hase noch daran erinnern. Ich habe damals... vor 5-6 Jahren einmal angefangen ein DayZ Tagebuch zu schreiben.

    Ich wollte die alten Sachen editieren, aber das wäre einfach zu unübersichtlich.


    Daher habe ich mich entschieden, nun erneut meine Geschichte zu posten. Vielleicht gefällt sie ja Jemandem :)


    Ich warne vor: Es ist wirklich eine lange Geschichte, die sich über all die Jahre hinweg immer weiter entwickelt hat.

    Ich bin nun bereit zumindest schonmal den 1. Part "erneut" zu posten. Allerdings in der moderneeren Fassung.


    Ich bin zwar immernoch nicht glücklich mit meiner Wortwahl unf finde, dass es sich hier und da nur stockend liest, aber besser als so wirds glaub ich erstmal nicht :)


    Viel Spaß beim lesen.





    Einsamkeit

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    Es ist sehr warm und ruhig. Seichte Winde fegen durch die Straßen und nur ganz leise prasselt der Nieselregen auf mein Dachfenster. So stelle ich mir die perfekte Herbstnacht vor. Mit einem Tee in der Hand, meinem Lieblingsfilm und hochgelegten Füßen lasse ich meinen harten Arbeitstag ausklingen. Es ist sehr lange her, dass ich mich so verausgabt habe, dass ich mich nicht mehr daran erinnern konnte, was ich noch erledigen musste. Nun, wenn es wirklich so wichtig war, dann würde ich es wohl noch wissen, außerdem ist es nun sowieso zu spät und davon mal ganz abgesehen werde ich langsam müde. Vielleicht sollte ich langsam ins Bett gehen, immerhin ist es schon nach 22 Uhr und ich muss um 6 Uhr wieder fit sein.

    Ein lauter Knall ertönt und reißt mich aus dem Schlaf. Dann höre ich eine Frau rufen: "Beeilt euch! Wir haben nicht viel Zeit! Je früher wir hier weg sind, desto besser."

    Gestört von einem immer wieder in den Raum blitzenden, gelben Licht stehe ich auf und gehe zum Fenster. Wollen meine Nachbarn in den Urlaub fahren?

    "Los, los! Uns bleibt keine Zeit mehr!", ruft die Frau erneut.

    Ich werfe mir meinen Wollmantel über und will gerade die Treppe runter gehen, als es plötzlich an der Tür klingelt.

    "Bitte öffnen sie die Tür!", dringt eine dunkle, männliche Stimme durch. "Dies ist ein absoluter Notfall."

    Ich laufe die Treppe hinunter zu meiner Tasche und suche meine Schlüssel.

    "Es ist wirklich wichtig, dass sie kooperieren", ergänzt er und klingelt erneut.

    "Ja, bitte einen Moment ich muss die Tür noch aufschließen"

    Kaum habe ich den Schlüssel gefunden und die Türe geöffnet, sehe ich einen Soldaten mit schwerer Bewaffnung, der auf einen Bus deutet. Er schaut mich kurz an und beginnt mir etwas zu erzählen, doch ich höre ihm nicht zu. Ich bin gebannt von dem Szenario, dass sich hinter seinem Rücken abspielt. Die Menschen laufen wie verrückt durch das Dorf, die Türen stehen auf, Koffer werden verladen und Eltern tragen ihre Kinder zu den Autos und Bussen. Eine alte Frau mit Gehstock scheint nach Hilfe zu fragen, doch wird von Allen ignoriert. Ein Mann rennt an ihr vorbei und stößt gegen sie, woraufhin sie mit dem Gehstock wegrutscht und hinfällt. Ich drücke mich an dem Soldaten vorbei und laufe zu ihr.

    "Hey! Haben sie mich verstanden?! Wenn sie nicht mit uns kooperieren, dann... wir haben sonst keine... ohne sie... weg...", ruft er mir noch hinterher, doch seine Stimme geht in dem Lärm der verängstigten Menschen und weinenden Kinder unter.

    Ich helfe der alten Frau hoch und stütze sie auf dem Weg zu ihrem Haus. Drinnen angekommen schließe ich die Tür und frage sie, was hier gerade passiert.

    "Das Militär sagt, dass alle Dörfer um Chernogorsk evakuiert werden müssen. Warum haben sie nicht gesagt. Notstand... Ja. Notstand haben sie gesagt. Man soll sich schnell das Wichtigste zusammensuchen und gehen, aber in meinem Alter. Ach Kindchen, alleine schaffe ich das alles nicht. Meine Beine haben mich 88 Jahre getragen. Die sind kaputt, meine Knie.", antwortet sie und setzt sich vor Schmerzen stöhnend an ihrem Gehstock gestützt in ihren Sessel. "Ich möchte doch nur meinen Sohn gerne nochmal sehen. Und, ja, und die lieben Enkelchen. Aber ich weiß nicht wo er ist. An sein Telefon geht er nicht."

    Die alte Dame scheint wirklich verzweifelt zu sein, vielleicht sollte ich ihr helfen. Ich bitte sie zu warten und gehe vor die Tür. Es wird immer schlimmer, die Menschen hier immer hektischer, man kann schon fast von einer Massenpanik reden. Ich schaue mich um. Etwa 20 Meter links von mir steht ein Mann, mit dem Abzeichen eines Unteroffiziers. Er muss das Sagen haben hier, also ist er auch die Person, die Hilfe anordnet, wenn sie gebraucht wird.

    Ich gehe zu ihm, lese sein Namensschild und frage: "Herr Unteroffizier Below, Sir. Darf ich sie um Hilfe bitten? Meine Oma und ich, wir schaffen es nicht in dem ganzen Getümmel. Sie ist zu alt und zu langsam." Er sieht mich an, nickt und winkt zwei Männer herbei.

    "Jawohl Herr Unteroffizier Below?"

    "Dies sind die Gefreiten Oleg Kusmin und Nikita Gussew. Sie werden ihnen helfen ihre Oma zum Bus zu bringen. Kusmin, Gussew, folgt der jungen Dame zu ihrem Haus und helft ihnen.“

    "Jawohl", entgegnen beide im Einklang.



    "Dankeschön. Ich hätte es wirklich nicht ohne Hilfe geschafft. Ich hoffe ich kann mich irgendwann dafür erkenntlich zeigen", lächelt mich Maria, die alte Frau, an, deren Namen ich nun nach der Hilfeaktion erfahren habe. Nachdem mir Nikita versichert hat, dass sie auch beim Umstieg vom Bus ins Flugzeug Hilfe von ihm erhält, kann ich ruhigen Gewissens meine Sachen packen gehen. Warum genau alles evakuiert werden soll konnte er mir jedoch nicht sagen und auch Unteroffizier Below wurde nicht unterrichtet.

    Plötzlich ertönt eine laute Durchsage.

    "Bus eins ist nun mit der maximalen Kapazität an Passagieren und Gepäck beladen. Wir haben einen weiteren Bus angefordert, müssen sie jedoch auf Grund der aktuellen Situation bitten, nach Möglichkeit mit eigenem Auto zum Nord-West Militärlandeplatz zu fahren. Folgen sie dem Militärbus. Wir werden noch weitere 15 Minuten mit der Abfahrt warten, damit sie den Anschluss nicht verpassen. Sollten sie nicht rechtzeitig fertig sein, folgen sie bitte den Orangenen Pfeilen. Diese führen ebenfalls zum Stützpunkt.

    Ich wiederhole.

    Bus eins ist voll, bitte fahren sie nach Möglichkeit mit eigenem Auto zum Nord-West Militärlandeplatz. Abfahrt des Busses ist in 15 Minuten. Folgen sie diesem oder den orangenen Pfeilen auf der Route. "

    Ich schaue aus dem Fenster und sehe wie der Bus langsam vom Feld auf die Straße rollt und dort erneut stehen bleibt und auf Anschluss der Familien wartet. Ich halte einen Moment inne, gehe zum Fenster und schiebe den Vorhang ein wenig zur Seite. In meiner Wohnung ist es sehr leise und man hört nur ganz unterschwellig die Rufe und Sirenen von draußen. Wenn man das alles so beobachtet, fällt einem vor allem eines auf: Wie gleich doch in einer solchen Situation jeder Mensch ist. Keiner ist vorbereitet. Alle scheinen ängstlich und verunsichert, sogar die, die sonst immer nur so vor Selbstbewusstsein strotzen. Es herrscht Chaos in einem sonst so geordneten kleinen Dorf. Selbst die, die sonst immer so hilfsbereit sind, sind nur noch auf sich selbst fokussiert. Ich ziehe den Vorhang wieder zu und kehre zurück zu meinem Koffer um weiter zu packen. Etwas zu essen und zu trinken, meine Ausweise und ein paar Ersatzklamotten. Man weiß ja nie, was einen erwartet. Vor allem dann nicht, wenn plötzlich das Militär vor der Türe steht.

    Ein wenig Angst macht mir diese ganze Situation allerdings schon, ich sollte mich beeilen. Ich greife mir die Schlüssel, gehe aus der Tür und schließe diese ab.

    "Ach Mist, mein Handy!", grummle ich, stelle meinen Koffer auf den Boden neben den rechten Hinterreifen meines Autos und will erneut in die Wohnung gehen. Dann wird mir schwarz vor Augen.

    Geblendet von dem Licht der untergehenden Sonne, die durch einen kleinen Spalt in meinem Holzunterstand scheint, öffne ich meine Augen.

    „Was ist passiert? Warum liege ich hier?“, Ich spüre einen drückenden, starken Schmerz. „Aaaaah...“, stöhne ich und taste vorsichtig meinen Hinterkopf ab. Langsam ziehe ich meine Hand wieder nach vorn und schaue auf meine Finger. Dunkles, schmieriges Blut. Für einen Moment versuche ich mich zu erinnern, was passiert war, doch ich weiß nur noch, dass ich meinen Koffer zum Auto bringen wollte.

    „Wo sind die anderen alle?“, stummle ich und raffe mich wackelig auf. Gestützt an meiner Hauswand, gehe ich langsam in den Vorgarten um mich umzusehen.

    Das Dorf ist menschenleer...

    Niemand ist mehr da...

    Nur noch ich...

    „Hallooooo?!“, rufe ich in das leere Dorf hinein, doch es kommt keine Antwort.

    Mit einem starken Schwindelgefühl und leicht wackeligem Gang gehe ich wieder zurück zur Haustür, doch diese lässt sich nicht öffnen. Ich werfe einen Blick nach rechts auf den leeren Stellplatz meines Autos und plötzlich wird mir alles klar.

    "Scheiße!“, rufe ich und trete gegen meine Tür. Plötzlich höre ich etwas. Es klingt fast so, als würde jemand in meinen Mülltonnen rumwühlen. Von dem Gedanken und ein klein wenig Hoffnung begleitet wandere ich um mein Haus herum. Ich werfe einen Blick um die Ecke meiner Hauswand und tatsächlich steht ein junger Mann, der in meinen Mülltonnen etwas zu suchen scheint.

    „Hey“, unterbreche ich ihn. Er schaut mich an. „Ehm. Weißt du, ob es noch eine Möglichkeit gibt zum Nord-West Militärlandeplatz zu kommen?“

    Keine Antwort. Lediglich ein durchbohrender Blick und ein Knurren. Irgendetwas stimmt nicht mit ihm. Er verhält sich komisch.

    "Okay, wenn du nicht reden willst, dann musst du auch nicht.", sage ich und gehe langsam rückwärts. Kurz darauf lässt er von der Mülltonne ab und geht auf mich zu. Ich bekomme ein unbehagliches Gefühl, mein Herz schlägt schneller, meine Athmung wird flacher. Meine Hand gleitet am Geländer meines Vorgartens entlang und als ich merke, dass ich am Ende angekommen bin, mache ich einen Satz nach rechts, um die Ecke meines Hauses und beginne zu rennen. So schnell wie ich kann. So weit wie ich kann.

    Nach ein paar Minuten sehe ich einen kleinen Schuppen, welcher offen steht. Ich renne hinein, schließe vorsichtig die Türe und setze mich auf den Boden, darauf wartend, ob mir diese seltsame Gestalt gefolgt ist.

    Er hat Dreck im Gesicht um Schaum vor dem Mund. Schrammen und Schürfwunden am ganzen Körper. Diese Anzeichen kommen mir nur aus Horrerfilmen bekannt vor. „Das kann nicht sein...“, flüstere ich zu mir selbst. „Das kann... nicht... sein!“

    Hier bei uns dauert es in der Herbstzeit nicht lange, vielleicht eine halbe Stunde, bis es von Sonnenuntergang bis zur Finsternis vorangeschritten ist. So sitze ich nun im Dunkeln, immernoch in dem kleinen Schuppen. Gelähmt vor Angst habe ich es noch nicht geschafft, einen weiteren Blick nach draußen zu riskieren. Ich spüre meinen Herzschlag, habe Durst und auch Hunger.

    Bin ich allein?

    Als ich mich wieder beruhige, mache ich mich vorsichtig und extrem umsichtig auf den Weg zur stillgelegten Landebahn, die sich nicht sehr weit von meinem Dorf entfernt befindet. Zurück zu meinem Haus will ich nicht, aus Angst, dass ich dort erneut diesen komischen Kerl antreffe.

    Die Bäume rascheln und die Gräser wehen im Wind. Meine Kopfschmerzen machen sich immer mehr bemerkbar, was wahrscheinlich mitunter daran liegt, dass ich dehydriert bin. Ich gehe auf die große freie Fläche vor der Landebahn zu und schaue mich um. In dem kleinen Dorf, das sich an deren Fuße befindet, meine ich die Umrisse dreier Menschen zu sehen und dennoch weiß ich nicht, ob es wirklich Menschen sind oder so auch so seltsame Wesen sind. Aus Angst, dass ich erneut eine so seltsame Begegnung mache, beschließe ich nicht dort hin zu gehen, sondern nach einer Kommunikationsmöglichkeit zu suchen.

    Ich öffne die Tür des Luftraumkontrollturms und gehe die Treppen hoch. Das Schicksal meinte es wohl gut mit mir, als es mir einen Kühlschrank gefüllt mit Wasserflaschen und ein wenig Obst und Gemüse vor die Nase stellt.

    Es kommt immernoch täglich das Militär hier her, um den Luftraum zu überwachen. Manchmal sieht man auch Hobbyflieger, die mit ihren Modellflugzeugen die Landebahn unsicher machen hier. Da wundert es mich nicht, dass hier noch Verpflegung zu finden ist. Wobei es eigentlich komisch ist, dass hier immernoch überwacht wird. Es ist seit Jahrzehnten nichts passiert. Hier fliegt lediglich das Militär und das wird vom Nord-West Stützpunkt aus überwacht. Warum also sollte jeden Tag jemand her kommen und den ganzen Tag an den Funk- und Prüfgerätschaften sitzen?

    Ich durchkrame die Schubladen der Schreibtische und finde eine kleine Handfeuerwaffe und ein Messer. Viele Zettel, Büroartikel und vor allem ein Haufen Brotkrümel liegen auch darin herum.

    "Aaaah…", stöhne ich wieder und fasse mir an den Kopf. Der Schmerz wird immer schlimmer, fast schon erdrückend. Ich merke, wie mein Puls steigt und meine Hände anfangen zu zittern. Kurz darauf wird mein Blick wieder schwummrig und mir wird ein wenig schwarz vor den Augen. Ich sollte mich vielleicht doch nochmal kurz hinlegen, danach kann das alles schon wieder ganz anders aussehen. Ich nehme die kleine Decke, die über dem Stuhl hängt, lege mich unter den Schreibtisch auf den Boden und schließe meine Augen.

  • Unerwartete Begegnung

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    Von der Morgensonne sanft geweckt und voller Hoffnung, dass dies alles nur ein Traum gewesen sei, werde ich nur wenige Sekunden nach dem Öffnen meiner Augen auf den harten Boden der Tatsachen zurückgeholt. Eine sehr unruhige Nacht liegt hinter mir und obwohl meine Kopfschmerzen stark nachgelassen haben, geht es mir nicht gut. Mein Magen knurrt und ich habe Rückenschmerzen. Harter Boden ist nun einmal nicht der ideale Untergrund um ein Schläfchen zu halten. Hinzu kommt, dass meine Kleidung klamm und mein Körper schwach ist. Dennoch beschließe ich, mich auf den Weg nach Chernogorsk zu machen. Vielleicht finden sich ja dort noch Menschen, die wissen was passiert ist. Manche verlassen ja selbst in solchen Situationen nicht ihr Haus.

    Ich trete hinaus auf den Flugplatz. Weit und breit ist keine Menschenseele, die Umgebung geschmückt mit Chaos. Verlassene Häuser, Fahrzeuge und auf dem Landeplatz, direkt vor dem Tower steht ein verlassener Helikopter. Der war gestern noch nicht da, also scheint er diese Nacht gelandet zu sein, aber wo sind die Insassen? Warum bin ich von dem Lärm nicht aufgewacht? Naja, wahrscheinlich habe ich einfach unfassbar tief geschlafen wegen der Kopfschmerzen. Mit einem immernoch mulmigen Gefühl im Bauch entscheide ich mich für den Weg, der hinter dem Flugplatz langführt anstelle dem, der offen über die Landebahn geht. Ich gehe an zwei großen Hangars vorbei, bis ich an eine Steinmauer komme. Ich lege meine Fingerspitzen an die Mauer und ziehe sie, während ich langsam weiter schlendere, über den rauen, sandigen Untergrund.

    Ein leises Summen, welches fast so klingt als würde ein kleiner Schwarm Bienen über mir schweben, erklingt. Ich folge dem Geräusch, Schritt für Schritt Richtung Mauerende und was vorher wie ein Schwarm Bienen klang, änderte sich in das Summen, welches von Schmeißfliegen kommt, die sich gerade auf einem großen Haufen Müll tummeln. Selbst der Geruch, den ich plötzlich vernehme passt dazu. Beißend, fast schon ätzend muss ich mir schließlich meine Armbeuge vor meine Nase und meinen Mund halten. Doch unter dem Summen ist noch ein anderes Geräusch zu vernehmen. Ein klackern, knirschen und... Ist das ein schmatzen?

    Ich strecke meinen Kopf hinter der Mauer hervor und was ich dort erblicke, verschnürt mir komplett den Atem. Zwei Menschen, dreckig, mit offenen blutenden Wunden und aufgerissener Haut am ganzen Körper, genau wie der Junge der vor meinem Haus im Müll gewühlt hatte, lehnen über einem leblosen Körper einer jungen Frau.

    Der Rock zerfetzt, der Hals halb durchtrennt, das linke Bein, nicht weit von ihrem Rumpf entfernt, separiert auf dem Weg. Ihrem Gesicht kann man immernoch ansehen welche Panik sie im Angesicht ihres Todes durchgestanden haben. Die Augen weit aufgerissen, der Mund leicht geöffnet und blutverschmiert.

    Eine dreckige Hand schlägt flach auf ihre weiße, zarte Haut, schließt sich durch diese durchfressend zu einer Faust und reißt ihr ein großen Loch in den Brustkorb. Grunzend frisst dieses Wesen das soeben herausgerissene Stück Fleisch. Ich will schreien, doch halte inne. Sie dürfen mich nicht bemerken. Ich kneife meine Augen zu, ziehe mich vorsichtig und leise zurück und merke, wie langsam eine Träne meine Wange hinuntergleitet. Ich lehne mich gegen die Mauer und gehe in die Knie, erschüttert und von dem Gedanken gefesselt, was sich gerade hinter mir abspielt. Schlagartig wird mir schlecht. Ich presse meine Hand auf meinen Mund, stehe auf und renne an den Waldrand um mich zu übergeben.

    Das war zu viel.

    So will ich nicht enden.

    Ist das gerade wirklich passiert?

    Haben da gerade wirklich zwei Menschen einen anderen Menschen gegessen?

    Ich wäre am liebsten noch einmal zurückgegangen, um zu sehen, ob das nicht alles einfach nur Einbildung war, ein Hirngespinst, von dem Schlag auf den Hinterkopf, doch habe zu große Angst, einen solchen Anblick noch ein weiteres Mal ertragen zu müssen. So beschließe ich, mich in den Wald zurückzuziehen.

    Zehn Minuten stapfe ich nun schon durch das feuchte Laub. Kleine Äste zerbrechen unter meinen Sohlen und ganz sanfte Nebelschwaden ziehen sich durch die Baumkronen. Mit geschlossenen Augen lausche ich den Geräuschen. Wenn man genau hinhört, ist man in der Lage jedes noch so kleinste knacken und rauschen herauszufiltern. Doch unter all diesen wundervollen Tönen, ist einer, den ich noch nicht zuordnen kann. Es ist ein Geräusch, dass anders klingt, fast so, wie Schritte. Wie meine Schritte, nur leiser, etwas dumpfer. Ich schaue mich kurz um und verstecke mich hinter einem Baum, entgegengesetzt der Richtung, aus der ich die Geräusche zu hören gedenke. Dann sehe ich eine Gestalt in meine Richtung kommen. In einem seltsamen Tarnanzug gekleidet kommt sie näher und bleibt nicht unweit vor mir stehen. Hat sie mich wahrgenommen?

    Ich drehe mich um und möchte mich leise wegschleichen, doch kaum als sich meine Augen auf den Boden vor mir richten, sehe ich ein Paar schwarze Stiefel. Langsam wandert mein Blick nach oben, über einen Anzug, welcher aussieht, als wäre er mit Grashalmen geschmückt, bis hin zu dem unmaskierten Gesicht eines Mannes, der eine Waffe vor sich auf der Brust trägt. Ich fühle mich unwohl und drücke mich gegen den Baum hinter mir. Indes kniet der Mann vor mir nieder und legt seine Waffe langsam neben sich auf das feuchte, dreckige Laub. Er zieht seinen Rucksack nach vorne, öffnet ihn und kramt darin herum, während er mich mit einem fesselnden Blick in Bann hält. Er zieht ein Paket hervor, das mit Hanfschnüren verbunden ist und legt es mir auf meinen Schoß.

    "Nimm ihn, er wird dir helfen.", sagt er nachdem er seinen Rucksack zurück auf den Rücken und seine Waffe wieder in Anschlag genommen hat. Unsicher greife ich nach dem Päckchen und ziehe erst die eine, dann die andere Schnur aus der Schleife. Einer dieser Anzüge also? Ich begutachte das flauschige grasige Ding, das nun auf meinem Schoß liegt. Ziehe es ein Stück nach oben und schaue es mir an. Ja einer dieser Anzüge. Ob er mir hilft wird sich allerdings noch herausstellen. Ich packe das kleine Paket wieder zusammen, schaue den Mann vor mir an und nicke ihm zu.

    „Danke...“, huscht mir leise über meine zitternden Lippen.

    Etwas verwundert und irgendwie erleichtert frage ich mich ob man diesen Menschen vertrauen kann. Sicher bin ich mir nicht, aber zumindest sind sie die ersten normalen Lebenden, die ich seit dem Beginn dieses merkwürdigen Zustandes getroffen habe

    "Wo musst du hin?", fragt mich der einer der beiden.

    "Nach Chernogorsk", entgegne ich.

    Sie nicken sich zu, drehen sich um und gehen los, während mein Blick ihnen folgt. Kurz darauf dreht sich einer der beiden wieder um, lächelt mich an und winkt mich herüber.

    "Hab keine Angst! Bei uns bist du auf jeden Fall in guten Händen.", sagt er und streckt mir seine Hand entgegen. Etwas wirr, taste ich kurz auf dem Boden neben mir herum, stehe auf und gehe zu ihnen. Denn eines weiß ich sicher: In dieser Welt sollte man jetzt nicht mehr alleine unterwegs sein.